Tatjana
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Ich hatte 2012 einen Verkehrsunfall, bei dem ich von der Landstraße abgekommen bin. Seitdem bin ich ein inkompletter Querschnitt.
Ich habe eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen absolviert.
Für die Kunden ist es extrem angenehm, mit mir auf Augenhöhe sprechen zu können.
Meine Arbeit hier ist wirklich zum Traumberuf geworden. Weil ich meinen Nachteil zum Vorteil machen konnte. Ich kann viel aus Erfahrung sprechen und ich kann ganz viele Sachen vorher selbst testen.
Ich hatte 2012 einen Verkehrsunfall, bei dem ich von der Landstraße abgekommen bin. Seitdem bin ich ein inkompletter Querschnitt. Das heißt, ich spüre die Beine, aber ich kann sie nicht bewegen. Die Motorik ist also nicht vorhanden. Ich habe damals im Einzelhandel gelernt und auch gearbeitet. Das war mein Traumberuf. Nach meinem Unfall musste ich mich dann komplett neu orientieren. Es stellte sich die Frage, wo die Reise für mich hingeht. Das war damals ganz schwer für mich. Ich habe lange überlegt, was ich machen könnte. Irgendwann bin ich auf das Gesundheitswesen gekommen, weil ich selbst betroffen bin. Deshalb habe ich erfolgreich eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen absolviert.
Die Kunden haben es sehr gut angenommen, denn sie können sich mit mir über alles unterhalten, nicht nur über den Rollstuhl, sondern auch über die Inkontinenz oder Darmprobleme. Über alles, was ich auch kenne. Wenn jemand vor ihnen sitzt, der das selber kennt, dann sind sie ganz offen und fragen nach. Für die Kunden ist es extrem angenehm, mit mir auf Augenhöhe sprechen zu können.
Meine Arbeit hier ist wirklich zum Traumberuf geworden, weil ich meinen Nachteil zum Vorteil machen konnte. Ich kann viel aus Erfahrung sprechen und ich kann ganz viele Sachen vorher selbst testen.
Es ist schon eine Herausforderung, den richtigen Rollstuhl zu finden. Aber das macht mir auch großen Spaß, weil jeder Kunde anders ist. Die meisten Kunden können wir schnell glücklich machen. Aber es gibt natürlich auch Schmerzpatienten, wo man sehr lange braucht, bis man den richtigen Rollstuhl angepasst hat, weil vieles abgepolstert werden muss. Das kann schon mal ein halbes Jahr dauern.
Ich höre von Kunden ab und an von schlechten Erfahrungen mit fremden Menschen. Ich selber habe aber noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Was wir ab und an erleben ist, dass wir auf dem Behindertenparkplatz beschimpft werden. Einfach weil die Leute denken, wir sind jung und nicht behindert und dürfen dort nicht stehen. Ich finde das nicht schlimm, denn die Intention ist ja die richtige. Alle haben sich dann immer direkt entschuldigt, als sie gesehen haben, dass ich auch tatsächlich im Rollstuhl sitze.
Interview geführt am: 22. Juli 2020
Ich hatte 2012 einen Verkehrsunfall, bei dem ich von der Landstraße abgekommen bin. Seitdem bin ich ein inkompletter Querschnitt. Das heißt, ich spüre die Beine, aber ich kann sie nicht bewegen. Die Motorik ist also nicht vorhanden. Ich habe damals im Einzelhandel gelernt und auch gearbeitet. Das war damals mein Traumberuf, denn ich konnte auch Lehrlinge weiterbilden. Nach meinem Unfall musste ich mich dann komplett neu orientieren. Es stellte sich die Frage, wo die Reise für mich hingeht. Das war damals ganz schwer für mich. Ich habe lange überlegt, was ich machen könnte. Irgendwann bin ich auf das Gesundheitswesen gekommen, weil ich selbst betroffen bin. Warum also nicht in diese Richtung eine Umschulung machen? Deshalb habe ich erfolgreich eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen absolviert.
Zuerst war ich hier im Reha-Fachhandel auch nur Kundin. Ich bin zur Inkontinenz-Versorgung und anderen Hilfsmitteln beraten worden und da dachte ich, das würde doch auch optimal zu mir passen, da bewirbst du dich einfach mal. Für die Kunden ist es extrem angenehm, mit mir auf Augenhöhe sprechen zu können. Die Kunden können mich alles fragen, da gibt es keine Scheu oder Verklemmtheit. Auch die Kinder sind ganz offen. Sie sagen: Ach guck mal, die Tante sitzt auch im Rollstuhl.
Ich habe damals im Innendienst angefangen. Dann hat mein Chef entschieden, mich mit in dem Bereich Reha / Außendienst zunehmen und zu schauen, wie die Kunden reagieren. Mein Chef sitzt selbst im Rollstuhl. Auch ein Kollege aus der Werkstatt sitzt im Rollstuhl. Wir sind also drei Rollstuhlfahrer*innen im Team Dresden.
Die Kunden haben es sehr gut angenommen, denn sie können sich mit mir über alles unterhalten, nicht nur über den Rollstuhl, sondern auch über die Inkontinenz oder Darmprobleme. Über alles, was ich auch kenne. Wenn jemand vor ihnen sitzt, der das selber kennt, dann sind sie ganz offen und fragen nach. Bei anderen Kollegen, die vielleicht nicht im Rollstuhl sitzen, sind die Hemmungen schon etwas größer.
Reha-Beraterin zu sein heißt, Kund*innen optimal zu beraten und das benötigte Hilfsmittel bei der Krankenkasse zu beantragen. Eine Beratung im Haus ist definitiv besser, wir haben hier eine große „Spielwiese“, wo die Kund*innen alles testen und erproben können. Dies ist bei der Entscheidungsfindung sehr wichtig.
Wir sind eine sehr junge und familiäre Truppe. Unser Team besteht aus zwölf Mitarbeiter*inen. Bei uns geht es um die Ausstattung mit dem passenden Rollstuhl, Hilfsmittel und die Inkontinenzversorgung, die man noch zusätzlich braucht. Da müssen die Kund*innen viel testen und auch von Krankenschwestern gezeigt bekommen, wie bestimmte Sachen funktionieren. Natürlich lehnen die Krankenkassen auch eingereichte Hilfsmittel ab, dann können die Kund*innen auch zu uns kommen und wir sprechen das nochmal durch: Lohnt es sich, einen Widerspruch zu erstellen oder gibt es noch eine Alternative? Oder wir empfehlen, sich den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nach Hause zu holen, damit dieser sich ein Bild von den Umständen vor Ort machen kann. Es kommen auch Kund*innen, die im Rahmen ihrer Behinderung sportlich aktiv werden wollen. Da gibt es zum Beispiel das Handbike.
Wir bieten auch Veranstaltungen für unsere Kund*innen an. Momentan finden diese auf Grund von Corona nicht statt. Aber normalerweise machen wir Mono-Skifahren oder wir gehen Klettern oder auch auf Handbike-Touren. Einfach, damit die Kund*innen mal rauskommen.
Es ging mir nach meinem Unfall genauso. Ich wusste nicht, was ich im Rollstuhl alles machen kann. Ich war vorher sehr sportlich aktiv, und das ging dann alles nicht mehr, dachte ich. Aber man kann trotzdem weiterhin Skifahren, trotz Handicap. Es ist zwar anders, aber es ist möglich.
Ich habe einen kleinen Sohn, der treibt mich natürlich an, auch zum Radfahren, Schwimmen oder ähnliches. Wir müssen natürlich gucken, was möglich ist mit meinem Querschnitt. Mein Sohn ist 11, er kennt mich vor dem Rollstuhl und mit dem Rollstuhl. Als mein Unfall passierte, war er dreieinhalb und er war einfach nur froh, dass seine Mama noch da war. Klar gibt es auch jetzt noch Momente, wo er sagt: „Ach Mama, es wäre schön, wenn du laufen könntest.“ Aber wir mache ganz viele Unternehmungen mit ihm und dann sagt er auch: „Du bist ja wie die anderen Mamas.“ Er ist da tiefenentspannt. Ich weiß nicht, ob noch die Phase kommt, wo er sich für seine Mama schämt, denn Kinder können auch böse sein. Manchmal können sie auch komische Kommentare machen. Aber er ist da sehr taff. Bei vielen Veranstaltungen ist er auch mit dabei und sieht die anderen im Rollstuhl, auch die Kinder im Rollstuhl. Deshalb hat er da gar keine Berührungsängste. Er ist da wirklich tiefenentspannt, hilfsbereit und sehr pflegeleicht. Er ist natürlich auch sehr selbständig geworden. Er war das früher schon, aber man merkt schon. Er fragt nicht, sondern er macht einfach. Er nimmt auch einfach mal den Staublappen oder den Staubsauger in die Hand und putzt sein Zimmer. Ich kann mich also wirklich nicht beklagen. Auch in der Corona-Lockdown-Zeit habe ich das gemerkt. Mein Mann, der Kindsvater, und ich haben systemrelevante Jobs und mussten arbeiten gehen. Da war mein Sohn in der fünften Klasse auf sich allein gestellt. Das klappte ohne Probleme, er hat seine Aufgaben gemacht. Da konnte ich mich auf ihn verlassen und bin auch sehr stolz auf ihn.
Die Krankenkassen sind dafür da, die Behinderung auszugleichen. Sie sorgen für Hilfsmittel, damit ich mich zu Hause und draußen aktiv fortbewegen kann. Wenn ein Kunde sagt, er möchte ein Handbike haben, dann ist die Krankenkasse sehr selten mit dabei, leider Gottes. Deshalb müssen die Kund*innen mit viel Kampf und Einsatz dafür arbeiten, dass sie eventuell von der Krankenkasse ein Handbike finanziert bekommen, teilweise auch vor Gericht. Aber solche Handbikes sind natürlich auch teuer, sie kosten um die 6000 Euro aufwärts.
Extrawünsche haben alle Kund*innen. Wir versuchen auch, alles möglich zu machen. Wir müssen natürlich trotzdem nach Hersteller-Garantien schauen, dass diese durch Umrüstungen nicht erlöschen. Unsere Kolleg*innen aus der Werkstatt sind da aber sehr pfiffig. Die Standard-Rollstühle kommen zu uns und werden dann umgebaut. Das ist auch abhängig vom Krankheitsbild. Da geht es zum Beispiel darum, dass der Kunde bequem im Rollstuhl sitzt, damit er nicht so viele Schmerzen hat.
Meine Arbeit hier ist wirklich zum Traumberuf geworden, weil ich meinen Nachteil zum Vorteil machen konnte. Ich kann viel aus Erfahrung sprechen und ich kann ganz viele Sachen vorher selbst testen. Das ist schon ein großer Vorteil.
Meine zweite Ausbildung nach meinem Unfall habe ich im Berufsförderungswerk Dresden gemacht. Das wurde über den Rententräger finanziert. Ich wurde dort sehr gut unterstützt. Ich hatte eine Ansprechpartnerin, die mit mir zu meinem alten Arbeitgeber gegangen ist, um zu schauen, ob es Möglichkeiten gibt, bei meinem alten Arbeitgeber zu bleiben. Das Problem bei meinem alten Arbeitgeber war aber, dass ich schwere Sachen in Regale hätte heben müssen. Mir fehlt dafür aber einfach die Stabilität im Rumpf. Ich hätte also Hilfe gebraucht und das wollte ich nicht, denn ich möchte gleich behandelt werden. Deshalb konnte ich dort nicht weiter arbeiten.
Bei meinem aktuellen Arbeitgeber ist es schön, auch Kollegen zu haben, die wie ich im Rollstuhl sitzen. Dann kann man sich einfach besser austauschen. Unser Team hier besteht auch aus Physiotherapeut*innen und ehemaligen Krankenschwestern. Die wissen, wie man Querschnittsgelähmte lagern muss oder wie man die Hilfsmittel richtig anwendet. Sie können zum Beispiel auch Tipps geben, wie man es verhindert, eine wunde Stelle zu bekommen. Das ist das Schlimmste, was einem Rollstuhlfahrer passieren kann. Denn wenn sich eine offene Stelle bildet und sich entzündet (sogenannte Dekubitus), dann muss man sechs Wochen auf dem Bauch liegen oder eventuell operiert werden. Man kann auch daran sterben. Also eine totale Katastrophe.
Nach meinem Unfall waren Freunde und Familie natürlich geschockt, aber standen von Anfang an hinter mir. Das war wirklich toll. Gerade nach dem Unfall sind alle meine Familienmitglieder aus ganz Deutschland gekommen und haben mich besucht. Auch beim Umzug damals haben mir alle geholfen.
Nach meinem Unfall habe ich meinen jetzigen Ehemann kennengelernt. Er ist völlig gesund. Er fand mich toll, so wie ich bin. Er hat den Rollstuhl gar nicht so wahrgenommen. Er hat diesbezüglich auch keine Hemmungen. Bei Männern, die im Rollstuhl sitzen, ist es öfter der Fall, dass sie eine Frau kennenlernen. Bei Frauen im Rollstuhl ist es schon schwieriger. Weil Männer natürlich dieses perfekte Bild von einer Frau im Kopf haben. Frauen sehen den Mann im Rollstuhl und wollen dann helfen.
Bei den Freund*innen sind einige dazu gekommen, es sind auch ein paar gegangen. Einige wenige sind mit dem Rollstuhl beziehungsweise dem Unfall nicht richtig klar gekommen. Das ist okay. Ich möchte aber auch kein Mitleid haben. Ich bin ein Mensch, ich bin fröhlich, ich genieße das Leben. Natürlich habe ich auch Tage, wo es mir schlecht geht, aber solche Tage hat jeder.
Ich höre von Kund*innen ab und an von schlechten Erfahrungen mit fremden Menschen. Ich selbst habe aber noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Was wir ab und an erleben ist, dass wir auf dem Behindertenparkplatz beschimpft werden. Einfach weil die Leute denken, wir sind jung und nicht behindert und dürfen dort nicht stehen. Ich finde das nicht schlimm, denn die Intention ist ja die richtige. Alle haben sich dann immer direkt entschuldigt, als sie gesehen haben, dass ich auch tatsächlich im Rollstuhl sitze. Die Hilfsbereitschaft ist bisher immer sehr groß gewesen. Mir werden die Türen aufgehalten oder gefragt, ob sie mir helfen können. Klar wird man ab und an auch mal in der Disco angestarrt. Mir sagen das dann meine Freunde. Ich selbst bekomme das gar nicht mehr mit. Ich sage dann immer, das ist wie ein Autounfall, man will nicht hingucken, aber man kann nicht anders. Ich kann das verstehen.
Hier in Dresden fahre ich eigentlich viel mit der Bahn. Das funktioniert ganz gut. Sehr viele Haltestellen sind barrierefrei, ein paar wenige sind es nicht, aber die kennt man dann. Na klar sind die Bahnfahrer*innen nicht immer glücklich, wenn Sie die Rampe ausfahren müssen, aber so ist es halt und sie machen es dann auch.
Gefühl habe ich in den Beinen bis zu den Knien, darunter nicht mehr. Ich kann schlecht beschreiben, wie sich das anfühlt. In den Knien kribbelt es so ein bisschen, darunter ist nichts und darüber ganz normal. Es ist ein bisschen, als hätte man Ameisen an den Beinen. Dieses Gefühl kann ich aber mittlerweile ausblenden. Ob sich das jemals ändert, da sagt kein Arzt etwas dazu. Die Nerven wachsen ja trotzdem weiter, sie wachsen wie Wurzeln kreuz und quer. Wenn man Glück hat, dann treffen sie irgendwie wieder aufeinander. Das Problem ist, dass mein Unfall jetzt schon acht Jahre her ist und dass das Gewebe vernarbt. Deswegen ist es relativ unwahrscheinlich, dass etwas passiert. Ich freue mich aber trotzdem, wenn irgendetwas zurückkommt, ansonsten ist es halt, wie es ist. Das Gefühl in den Oberschenkeln kam im Prinzip Stück für Stück. Nach meinem Unfall habe ich noch nichts gemerkt, aber mit den Jahren kam das langsam wieder. Beim Unfall wurde meine Wirbelsäule gebrochen.
Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung kann ich jetzt noch nicht ganz so abschätzen, weil ich ja erst seit acht Jahren im Rollstuhl sitze. Aber von anderen, die schon länger im Rollstuhl sitzen, bekommt man das Feedback, dass sich schon einiges getan und verbessert hat. Bei den Krankenkassen hat sich einiges getan, manches ist besser geworden, manches ist schlechter geworden. Auch bei den Hilfsmitteln, die es jetzt auf dem Markt gibt, hat sich sehr viel getan. Alle zwei Jahre findet die ganz große Reha-Messe statt. Wir sind im Team drei Tage dort und haben danach trotzdem noch lange nicht alles gesehen.
Bei den Krankenkassen merkt man schon, dass sie sparen wollen. Früher gab es mal zwei Rollstühle. Einen für drinnen und einen für draußen. Das gibt es nicht mehr. Früher konnte man auch nach fünf Jahren einen neuen Rollstuhl beantragen. Auch das gibt es nicht mehr. Jetzt kann man erst einen neuen Rollstuhl beantragen, wenn man zum Beispiel rausgewachsen ist oder der Gesundheitszustand sich verändert hat, dass man einen anderen Rollstuhl braucht. Oder es lohnt sich wirtschaftlich nicht mehr, den Rollstuhl zu reparieren. Wenn man also einen neuen Rollstuhl haben möchte, muss man der Krankenkasse schon ganz genau begründen, warum man ihn braucht. Im Prinzip kann ich beide Seiten verstehen, die Krankenkassen als auch die Kund*innen. Es gibt schon auch Kund*innen, die wahnsinnig viele Hilfsmittel im Keller stehen haben und sie nicht benutzen. Das ist alles Geld. Mittlerweile haben viele Krankenkassen eine feste Summe, die sie dazu geben. Aber mit diesem Betrag X einen Rollstuhl zu finanzieren, ist relativ schwer. Die Kosten für einen Rollstuhl belaufen sich Minimum auf 3000 € und nach oben sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Aber für mich als Rollstuhlfahrerin ist der Rollstuhl essentiell, denn er gleicht die Behinderung aus und sorgt dafür, dass ich mich fortbewegen kann. Deshalb ist es schon sehr wichtig, dass der Rollstuhl richtig passt. Genau deshalb können die Kund*innen auch bei uns alles ausprobieren. Wir klären dann: Wo wohnt die Kundin oder der Kunde, was macht die Person mit dem Rollstuhl. Gibt es viel Kopfsteinpflaster in der Umgebung, geht die Person zur Physiotherapie, geht sie arbeiten, wie aktiv ist die Person, welche Restfunktion ist noch da in den Händen. Erst, wenn man diese ganzen Fragen geklärt hat, kann man den richtigen Rollstuhl finden und testen. Und dann, wenn man sich für das Modell entschieden hat, wird genau Maß genommen.
Es ist schon eine Herausforderung, den richtigen Rollstuhl zu finden. Aber das macht mir auch großen Spaß, weil jeder Kunde, jede Kundin anders ist. Die meisten Kund*innen können wir schnell glücklich machen. Aber es gibt natürlich auch Schmerzpatient*innen, wo man sehr lange braucht, bis man den richtigen Rollstuhl angepasst hat, weil vieles abgepolstert werden muss. Das kann schon mal ein halbes Jahr dauern.
Für mich persönlich ist es wichtig gesund zu bleiben. Als Rollstuhlfahrerin hat man ja ganz andere Belastungen für den Oberkörper und für die Schultern. Deshalb wünsche ich mir, dass ich noch lange fit und gesund bleibe. Ich gehe einmal wöchentlich zur Physiotherapie, damit meine Beine bewegt werden, weil sich durch das ständige Sitzen die Bänder verkürzen und die Muskeln geschwächt werden. Thrombosespritzen bekomme ich keine, das bekommt man als Querschnitt nur am Anfang, danach nicht mehr. Die Durchblutung in den Beinen ist generell schlecht, deshalb hat man immer kalte Beine. Daher ist auch die Gefahr groß, dass man schnell Druckstellen bekommt. Da muss man die Beine regelmäßig bewegen beziehungsweise bewegen lassen und Kompressionsstrümpfe tragen.
Als ich ganz frisch im Rollstuhl saß, hatte ich keine Ahnung, an wen ich mich wenden kann. Ich habe im Internet dann ganz viele Foren und Netzwerke gefunden, wo man sich austauschen kann und Hilfe findet. Man wird aber auch von anderen Rollstuhlfahrer*innen angesprochen. Insgesamt werden immer mehr Veranstaltungen für Rollstuhlfahrer*innen ermöglicht. Das merkt man schon. Auch die Stadt gestaltet öffentliche Zugänge immer öfter barrierefrei.
Das Einzige, was mir am Anfang fehlte, war ein Ansprechpartner, als ich ganz frisch im Rollstuhl saß. Als ich damals zur Reha war, gab es zwar einen Sozialdienst, aber der sagte mir nur, ich soll mich im Internet erkundigen und das war's. Niemand hat mir gesagt, wo ich zum Beispiel den Schwerbehindertenausweis oder die Pflegestufe beantragen muss. Geholfen hat mir dann meine Physiotherapeutin oder mein Chef, der selbst im Rollstuhl sitzt. Er wusste ganz genau, wo ich alles beantragen muss. So gesehen ist der Austausch mit Selbstbetroffenen wesentlich besser und in den Foren findet man immer jemanden, der antwortet.
Interview geführt am: 22. Juli 2020
Hallo!
Ich bin Tatjana.
Im Jahr 2012 hatte ich einen Verkehrs-Unfall.
Dabei bin ich von der Land-Straße abgekommen.
Seitdem bin ich ein inkompletter Quer-Schnitt.
Das bedeutet:
Ich spüre meine Beine.
Aber ich kann sie nicht bewegen.
Vor dem Unfall habe ich im Einzel-Handel gearbeitet.
Das war mein Traum-Beruf.
Nach dem Unfall musste ich mich dann komplett neu orientieren.
Das war damals schwer für mich.
Ich habe lange überlegt:
Was könnte ich beruflich machen?
Und so bin ich auf das Gesundheits-Wesen gekommen.
Weil ich ja selbst betroffen bin.
Deshalb habe ich eine Umschulung zur Kauf-Frau im Gesundheits-Wesen gemacht.
Mit meinen Kund*innen komme ich sehr gut zurecht.
Sie sehen, dass ich im Roll-Stuhl sitze.
Uns so sind sie sehr offen mit mir.
Sie sprechen über alles mit mir:
Über den Roll-Stuhl.
Und auch über ihre Probleme mit der Blase.
Oder über ihre Probleme mit dem Darm.
Ich kenne das ja auch alles.
Meine Arbeit hier ist zu meinem Traum-Beruf geworden.
Ich kann aus meinem Nachteil einen Vorteil machen.
Ich kann viel aus Erfahrung sprechen.
Und ich kann viele Sachen vorher selbst testen.
Meine Aufgaben:
Ich muss für meine Kund*innen einen passenden Roll-Stuhl finden.
Das ist nicht immer einfach.
Die meisten Kund*innen können wir schnell glücklich machen.
Aber es gibt auch Schmerz-Patienten.
Da ist es schwierig.
Denn ihr Roll-Stuhl muss gut gepolstert werden.
Das kann schon mal ein halbes Jahr dauern.
Manchmal erzählen mir Kund*innen von schlechten Erfahrungen mit fremden Menschen.
Ich selbst habe noch nie schlechte Erfahrungen gemacht.
Manchmal passiert es mir:
Ich werde auf dem Behinderten-Park-Platz beschimpft.
Dann heißt es:
Du bist jung.
Warum blockierst du den Behinderten-Park-Platz?
Ich finde das nicht schlimm.
Die Leute haben ja gute Absichten.
Wenn sie sehen, dass ich tatsächlich im Roll-Stuhl sitze.
Dann entschuldigen sie sich sofort.
Das Gespräch war am 22. Juli 2020.
Tatjana
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
Tatjana
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: