CAMO e. V.
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Giorgio: Im Kopf frei sein, das ist wichtig.
Giorgio: Ich sage immer: barrierefreies Theater ist nicht barrierefrei, weil die Toilette erreichbar ist, sondern weil wir keine Barrieren bezüglich behinderten Menschen haben.
Karl-Heinz: Wir haben vorher immer gedacht, die anderen haben eine Behinderung. Aber jetzt frage ich mich: Wer hat eigentlich die Behinderung?
Daniel: Jetzt bin ich aber sehr froh, dass ich überhaupt noch am Leben teilnehmen darf.
Giorgio: 2000 habe ich dieses Rittergut in der Nähe von Kriebstein gekauft und ein Kulturzentrum gegründet. Es heißt „Förderkreis Centro Arte Monte Onore e.V.“. Ich bin Künstler und Architekt. Mein Schwerpunkt ist das Theater und die Maskenbildnerei. Ich hatte damals das Gefühl, dass das hier richtig ist. Der Anfang war natürlich nicht einfach. Aber mittlerweile kommen die Leute her und sagen: „Es ist ein Paradies hier.“
Vor ein paar Jahren waren wir bei einem „Traumkonzert“ in Chemnitz. Bei dem Konzert spielten verschiedene Gruppen zusammen, vor allem behinderte Menschen und Musiker. Wir waren sehr beeindruckt. Wir haben dann Kontakt zu Horst Wehner aufgenommen. Er ist Rollstuhltänzer und war damals Schirmherr der Veranstaltung. Ich habe ihm meinen Vorschlag unterbreitet, dass ich ein Theaterstück machen möchte, in dem Menschen mit verschiedenen Behinderungen die Hauptrollen spielen. Wenn ich daran denke, bekomme ich gleich Gänsehaut. Das erste Projekt war „La Piazza“. Damit sind wir im Tivoli in Freiberg und im Schauspielhaus Chemnitz aufgetreten. Später kam dann „Marco Polo“ dazu, bei dem 120 Personen mitspielten.
Ich sage immer: Barrierefreies Theater ist nicht barrierefrei, weil die Toilette erreichbar ist, sondern weil wir keine Barrieren bezüglich behinderten Menschen haben. Im Kopf frei sein, das ist wichtig.
Daniel: Ich hatte 1995 einen schweren Motorradunfall. Jemand hat mir die Vorfahrt genommen. Nach dem Unfall musste ich ganz neu anfangen. Ich habe ein Vierteljahr im Koma gelegen und war rechtsseitig gelähmt. Jetzt bin ich aber sehr froh, dass ich überhaupt noch am Leben teilnehmen darf.
Der Giorgio hat damals in Mittweida an der Volkshochschule angefangen. Meine Mutter hat mir empfohlen, zu seinem Masken-Kurs zu gehen. Darüber bin ich dann zum Theater gekommen. Klar, Giorgio ist sehr euphorisch. Sein italienisches Temperament ist unschlagbar. Es ist toll, was er hier aus dem Boden gestampft hat. Vorher war hier eigentlich nichts, nur Ruinen, und nun ist vieles gemacht und es gibt den Verein.
Karl-Heinz: In die Theatergruppe bin ich für das Stück „Marco Polo“ gekommen. Ich muss sagen, das war für mich eine der wertvollsten Erfahrungen überhaupt. Wir haben vorher immer gedacht, die anderen haben eine Behinderung. Aber jetzt frage ich mich: Wer hat eigentlich die Behinderung? Ich bin dankbar dafür, Giorgio und seine Projekte kennenlernen zu dürfen. Es erweitert unheimlich den Horizont.
Interview geführt am: 06. Juni 2019.
Giorgio: Im Jahr 2000 habe ich dieses Rittergut in der Nähe von Kriebstein gekauft und ein Kulturzentrum gegründet. Es heißt „Förderkreis Centro Arte Monte Onore e.V.“. Ich bin Künstler und Architekt. Mein Schwerpunkt ist das Theater und die Maskenbildnerei. In Berlin habe ich mehr mit professionellen Leuten gearbeitet. Ich wollte aber auch schon immer mit nicht professionellen Leuten arbeiten und habe dafür Erfahrungen gesammelt und verschiedene Dinge ausprobiert.
Als ich noch jünger war, war ich in Venedig. Dort gab es das Theaterfestival. Alle möglichen Varianten des Theaters wurden dort gezeigt. Man brauchte nicht in eine Theaterschule gehen, sondern dort einfach nur erleben. Es gab alle Facetten, natürlich mit Worten, aber auch viel mit Körpersprache. Es wurden aber auch andere Elemente genutzt. Dort habe ich sehr viel gelernt. Für mich als Künstler war ein Bild zu wenig. Meine Liebe galt immer dem Theater. Ich habe mit einer Gruppe in Italien angefangen Theater zu machen, es war damals in den Siebzigern die Zeit der Performance. Aber ich wollte mich weiter ausprobieren. Ich habe mir deshalb einen anderen großen Ort gesucht und bin nach Berlin gegangen.
Berlin war geil. Das war vor der Wende. Ich war in Westberlin und bin auch dort geblieben. Es war damals eine super coole Zeit, denn es gab den Untergrund. Es waren verrückte Zeiten. In Berlin war alles Multikulti. Da kommt ein Italiener aus dem schicken Italien, mit seiner tollen Architektur, nach Berlin und dort sind die Gebäude fast ‚Schrott‘. Ich habe Secondhand-Klamotten in irgendeiner Garage gekauft. Das war klasse und für mich auch eine neue Art zu leben. Und dann kam die Wende. Das war ein bisschen kritisch, weil der Osten immer ein bisschen herabgestuft wurde. Aber für mich war es sehr schön und man konnte überall hingehen.
Ich hatte damals guten Kontakt zum Kulturministerium in Brandenburg. Wir haben versucht, Projekte zu machen, vor allem mit Tänzer*innen, die im Prinzip mit ihren 33 Jahren zu alt fürs professionelle Tanzen waren. Ich habe dann zehn Jahre lang mit einem amerikanischen Kollegen Tanztheater gemacht. Es war eine Mischung aus Theater und Ballett. Ich wohnte weiter in Berlin, hatte dort auch ein Atelier. Alles billig, aber schick und ‚in‘. Wir entdeckten verschiedene Schlösser in Brandenburg, wo wir Theater spielen konnten. Brandenburg besitzt sehr viele Schlösser. Die waren damals alle leer und nicht mehr benutzt. Es gab eine Schlösser GmbH, die mit Geld vom Bund diese Schlösser sanierte und anschließend an Leute verpachten wollte. Unser Ensemble, unterstützt vom Kulturministerium aus Brandenburg und in Zusammenarbeit mit der „Schlösser GmbH“, hat in den verschiedenen Schlössern gespielt. Wir haben zum Beispiel analoge Dia-Projektionen in den Schlössern benutzt. Das war damals ganz modern, heute macht man das ganz anders. Wir haben „Die Schöne und das Biest“ oder „Romeo und Julia“ gespielt.
Wir haben in traumhaften Kulissen gespielt. Und wir hatten Publikum. Zwar nicht riesiges Publikum, aber wir waren über jeden Besucher froh. Die sogenannten ‚Ossis‘ waren total begeisterte Zuschauer, die unsere Kunst offen aufnahmen. Sie kannten ja noch nicht viel von Italien. Es war eine tolle Erfahrung für mich. Deshalb wollte ich im Osten bleiben. Hier fand ich es offener und hatte mehr Möglichkeiten. Ich suchte nach einer Ruine und fand genau diese hier. Geplant hatte ich immer, mit den Leuten hier Projekte zu machen. Und so bin ich mit meiner Mappe zur Leiterin der Volkshochschule in Mittweida gegangen. Für die Volkshochschule eigneten sich meine Projekte zwar nicht, aber sie holte fünf Freundinnen zusammen und wir konnten ein erstes schönes Projekt starten. Meine späteren Projekte führten mich auch ins Gefängnis (schmunzelt). Die Arbeit mit den männlichen Gefangenen sollte sich als entspannter erweisen als mit der Frauengruppe. Waldheim hat ein sehr altes Gefängnis. Für mich war es interessant, ob sich die Gefangenen für ein Theaterprojekt überhaupt interessieren. Der Direktor des Gefängnisses war damals sehr offen, und er sagte: „Ja, warum nicht? Wir probieren es aus.“ Also haben wir Theater mit Gefangenen gespielt. Wir wollten ihnen zeigen, dass Theater nicht langweilig ist und es eine größere Palette zu bieten hat. Jeder sollte dafür seine kreativen Ideen einsetzen.
Gut geeignet ist dafür das Maskentheater. Masken sind zuerst einmal ein Schutz. Hinter einer Maske kann man Schauspielen und jemand sein, der man sonst nicht ist. Man kann sehr viel über die Masken projizieren. Durch das Projekt mit dem Maskenspiel hat so mancher Teilnehmer oder Teilnehmerin eine neue Seite an sich kennengelernt. Manchmal kamen dabei auch persönliche Probleme oder Wünsche zur Sprache, also auch eine gewisse psychologische Arbeit. Das erste Projekt war die Traumreise. Und es war tatsächlich eine Reise. Es war sehr interessant für mich. Es ging viel um Freiheit.
Das Erste was die Männer machten, als sie den Ton in die Hand bekommen hatten, war natürlich ein Pimmel. Und da habe ich gesagt: „Okay, wenn ihr einen Pimmel haben wollt, dann machen wir einen Pimmel.“ Der wurde dann als Requisite ins Theaterstück mit aufgenommen. Das sind eben erst einmal die Themen im Gefängnis.
Transparenz ist für meine Arbeit sehr wichtig, deshalb gibt es einen guten Kontakt zu den Medien. Auch wenn ich sie vielleicht manchmal eine wenig verrückt gemacht habe. Ich wollte, dass alle wissen, was hier für Projekte laufen. Und dass zum Beispiel auch im Gefängnis solche Projekte möglich sind.
Ich hatte damals das Gefühl, als ich diese Ruine erworben habe, dass das hier richtig ist. Ich habe dann noch die Häuser drum herum gekauft. Der Anfang war natürlich nicht einfach. Aber mittlerweile kommen die Leute her und sagen: „Es ist ein Paradies hier.“ Dann habe ich angefangen, solche Aktionen wie in Brandenburg auch hier in Ehrenberg zu machen. Das hat sich dann weiterentwickelt, so dass wir immer verschiedene Gruppen mit verschiedenen Aktionen hier auf dem Gelände hatten und haben.
Später, 2003, habe ich angefangen, die Gruppen zu integrieren. Wir haben dann auch ein Integrationsprojekt gemacht. Wir hatten hier Gruppen mit behinderten Menschen, Studierende, Schulgruppen oder auch Kinderheime. Oder auch eine Schule aus Tschechien. Es war sehr durchmischt, aber damals noch ohne eine Vernetzung untereinander.
Beim Tag des offenen Ateliers bin ich vor ein paar Jahren mit einer Frau vom „Arbeiter-Samariter-Bund“ ins Gespräch gekommen. Sie betreut schwerbehinderte Menschen, mit denen auch Kunst gemacht wird. Ich habe zu ihr gesagt: „Lassen Sie uns doch ein Projekt zusammen machen.“ Und so entstand mein erstes Projekt mit Rollstuhlfahrern. Weil sie es aber nicht hier aufs Gelände schafften, haben wir das Projekt im Schauspielhaus Chemnitz gemacht. Das war das erste Mal für mich. So hat für mich das offizielle Theater hier angefangen.
Damals war viel Publikum da. Die fanden es ganz toll, dass auch Menschen mit Behinderung Theater spielen. Es mussten damals auch alle mitmachen, auch die Betreuer. Denn für mich gilt: Alle müssen dabei sein. Niemand ist Helfer, jeder ist Macher. Es sollte sozusagen jeder und jede mitmachen beim Gestalten der Masken und beim Theaterstück natürlich auch. Wir hatten auch Statisten, die ganz in Schwarz gekleidet waren und die Rollstuhlfahrer auf der Bühne geschoben haben. Das sollte aber nicht so im Vordergrund stehen.
Und dann war ich mit Petra, der Vorsitzenden des Vereins, zu einem „Traumkonzert“ in Chemnitz eingeladen. Es findet jährlich in der Stadthalle statt. Bei dem Konzert spielten verschiedene Gruppen zusammen, vor allem behinderte Menschen und Musiker. Wir waren sehr beeindruckt. Wir haben dann Kontakt zu Horst Wehner aufgenommen. Er ist Rollstuhltänzer und war damals Schirmherr der Veranstaltung.
Ich habe ihm meinen Vorschlag unterbreitet, dass ich ein Theaterstück machen möchte, in dem Menschen mit verschiedenen Behinderungen die Hauptrollen spielen. Wenn ich daran denke, bekomme ich gleich Gänsehaut. Er war sofort begeistert und hat geholfen und vermittelt. Er hat mir den Kontakt zur Behindertenbeauftragten in Chemnitz, Frau Petra Liebetrau, vermittelt. Wir haben dann das erste Projekt gemacht – „La Piazza“. Damit sind wir im Tivoli in Freiberg und im Schauspielhaus Chemnitz aufgetreten. Für dieses Stück haben wir Geld von „Aktion Mensch“ bekommen. „Aktion Mensch“ ist ein sehr guter Fördermittelgeber, mit dem wir schon seit 20 Jahren zusammenarbeiten.
Das Stück „La Piazza“ ist super gelaufen. Das war eines unserer ersten richtig großen Projekte. 65 Leute haben damals mitgemacht. Jetzt haben wir 120 Teilnehmende bei dem Projekt „Marco Polo“. Mit „La Piazza“ haben wir unsere ersten Erfahrungen in der Projektarbeit mit behinderten Menschen gemacht. Und ich bin immer der Meinung, dass man lernen kann. Man muss mit Gefühl arbeiten. Ich sage immer: Barrierefreies Theater ist nicht barrierefrei, weil die Toilette erreichbar ist, sondern weil wir keine Barrieren bezüglich behinderten Menschen haben. Im Kopf frei sein, das ist wichtig. Wir haben keine Vorurteile. Wir fragen uns nicht, wie wir mit den Leuten umgehen müssen. Wir gehen ganz spontan mit ihnen um. Im Kopf frei sein, das ist wichtig. Wenn wir zum Beispiel gehörlose Menschen da haben, und der Gebärdendolmetscher ist nicht da, dann kommunizieren wir mit Händen und Füßen. Das geht auch. Bei blinden Menschen ist es der Körperkontakt. Ich sage dann, fass meinen Körper an und merke, wie ich mich bewege. Man muss einfach die Erfahrungen machen.
Nach dem ersten Projekt haben dann die Leute angefangen, sich selber bei uns zu bewerben. Das war interessant und schön. Denn wir wollen, dass neue Leute dazu kommen. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe von der Diakonie aus Hartmannsdorf. Die waren auch große Klasse. Das war ein tolles Zusammenarbeiten mit den Betreuern und mit den Betroffenen.
Bei all den Gruppen, die bei dem Stück „Marco Polo“ mitgewirkt haben, war es ganz wichtig, dass alle mitmachen. Denn dann entsteht Vertrauen. Auch die Betreuer müssen mitmachen, denn auch die lernen dazu. Ich habe auch extra eine Gruppe von Menschen ohne Behinderung dazu genommen und gesagt: „Kommt, ihr spielt mit.“ Es ist mittlerweile eine sehr schöne gemischte Gruppe, immer mehr Leute wollen mitspielen.
Dass wir es mit unserem Stück und den ganzen Gruppen ins Opernhaus geschafft haben, war ein Traum. Gerade ich als großer Opern-Fan war hin und weg. Es kamen sogar Freunde aus Italien und hatten Tränen in den Augen. Sie haben gesagt, ich sei mit einem kleinen Koffer weggegangen und jetzt bin ich hier im Opernhaus.
Aber das Wichtigste war, dass hinter den Kulissen alle zusammen waren. Das war ein Traum.
Daniel: Ich hatte 1995 einen schweren Motorradunfall. Jemand hat mir die Vorfahrt genommen und ich bin direkt gegen das Auto geknallt. Während des Fluges ist mir der Sturzhelm vom Kopf gerissen worden und bin voll mit dem Kopf an die Bordsteinkante geknallt. Nach dem Unfall musste ich ganz neu anfangen. Ich habe ein Vierteljahr im Koma gelegen und war rechtsseitig gelähmt. Ich war bestimmt sehr froh, als ich wieder aufgewacht bin, aber ich wusste nichts mehr. Ich musste ganz neu anfangen. Mit dem Sprechen, mit allem, ich musste lernen, mir wieder etwas zu merken. Ich war dann an verschiedenen Orten, ich hatte Reha-Kuren und eine Wiedereingliederungsmaßnahme. Das hat sich alles sehr in die Länge gezogen. Jetzt bin ich aber sehr froh, dass ich überhaupt noch am Leben teilnehmen darf und bin dafür sehr dankbar.
Ich war 17, als der Unfall passiert ist. Wäre ich älter gewesen, wären wahrscheinlich nicht wieder so viele Funktionen zurückgekommen, wie es jetzt ist. Dass ich überhaupt wieder reden kann, ist ein Wunder. Das hätte man nicht vermutet. Ich kann aber auch zum Beispiel kein Auto fahren, weil ich als Folge des Unfalls Probleme mit dem Sichtfeld habe. Mir fehlt ein Stück Schädelplatte, dafür habe ich ein Stück Keramik eingesetzt bekommen. Beim Unfall wurde auf beiden Augen der rechte Sehnerv getrennt, deshalb sehe ich rechts nichts viel. Die rechtsseitige Lähmung ist immer noch ein bisschen da – im rechten Fuß und im rechten Arm und einzelne Finger. Ich habe eine rechtsseitige Fußhebeschwäche. Aber ich versuche, es mit neuer Technologie wegzubekommen. Noch muss ich von der AOK die Genehmigung abwarten, aber ich hoffe, das klappt.
Der Giorgio hat damals in Mittweida an der Volkshochschule angefangen. Meine Mutter hat mir empfohlen, zu seinem Masken-Kurs zu gehen. Und ich bin hingegangen. Klar, Giorgio ist sehr euphorisch. Sein italienisches Temperament ist unschlagbar. Wir haben sein Temperament bisher gut ausgehalten. Nein, es ist toll, was er hier aus dem Boden gestampft hat. Vorher war hier eigentlich nichts, nur Ruinen, und nun ist vieles gemacht und es gibt den Verein. Es ist wirklich toll.
Über den Masken-Kurs bin ich dann zum Theater gekommen. Ich habe aber auch noch andere Hobbys zum Beispiel Fotografieren. Bei unserem Stück „Marco Polo“ war ich in einer Hauptrolle, deshalb konnte ich nicht im Publikum sitzen und fotografieren. Da habe ich den Fotoapparat an jemand anderes weitergegeben und habe danach die Fotos noch ein wenig bearbeitet.
Giorgio: Ich habe einen Freund und er spielt mit Daniel oft die Hauptrolle. Sie sind ein perfektes Paar auf der Bühne. Sie haben ein Feeling füreinander und Robert hilft Daniel ein bisschen bei manchen Sachen.
Daniel: Hier direkt auf dem Gut bin ich nicht so oft, aber natürlich zu den Proben. Früher haben wir viel in Mittweida geprobt.
Giorgio: Wir hatten damals eine Frauengruppe in Mittweida und dann sind immer mehr Männer dazu gekommen, der Daniel zum Beispiel. Die haben sich im Freizeit-Zentrum einmal in der Woche getroffen. Diese Gruppe hat sich dann aber vor ein paar Jahren aufgelöst. Deshalb haben wir eine neue Gruppe gegründet, die sich hier auf dem Gut trifft. Und wir treffen uns dann regelmäßig, wenn wir ein Projekt haben.
Daniel: Wir haben uns insgesamt mit den Jahren gesteigert. Mittlerweile sind wir relativ professionell, das waren wir am Anfang nicht. Wir treffen uns dann immer zu neuen Projekten. Die Masken machen wir immer noch selber. Aber wir haben jemanden, der die Musik zusammenschneidet und die Kulissen baut.
Giorgio: Daniel war im März 2019 im Fernsehen. Bei der MDR Sendung „Selbstbestimmt“.
Daniel: Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen, aber es ist schon schön, wenn man ein bisschen Anerkennung erhält. So groß rauskommen wie Giorgio will ich aber nicht. 😉
Karl-Heinz Herden: Ich war schon immer ein Teamplayer. Ich war zum Beispiel früher Fußballer. Und seit einer Weile bin ich hier involviert. In die Theatergruppe bin ich für das Stück „Marco Polo“ gekommen. Ich muss sagen, das war für mich eine der wertvollsten Erfahrungen überhaupt. Wir haben vorher immer gedacht, die anderen haben eine Behinderung. Aber jetzt frage ich mich: Wer hat eigentlich die Behinderung? Ich bin dankbar dafür, Giorgio und seine Projekte kennenlernen zu dürfen. Das habe ich auch offiziell auf der Bühne gesagt.
Ja, die Zusammenarbeit mit den Blinden oder den Gehörlosen und den vielen anderen Gruppen war einfach so phantastisch. Wir haben uns alle gut verstanden, wir hatten ja auch ein gemeinsames Ziel. Diese Erfahrungen möchte ich nicht missen, es erweitert unheimlich den Horizont. Wir waren letztens beim Arbeiter-Samariter-Bund. Und wenn man dann dort die trifft, mit denen man gespielt hat, und die rufen einem ein freudiges „Hey“ zu, das ist einfach schön. Auch die schwererziehbaren Kinder haben mich nach über einem Jahr Pause zwischen zwei Projekten sofort erkannt. „Hey Geppetto, bist du wieder da“ schallte mir entgegen. Ich habe den Geppetto, also den Vater von Pinoccio gespielt. In den Schauspielstücken bin ich ja meistens der Älteste.
Giorgio: Aber so jemanden braucht man auch. Bei dem Stück „Marco Polo“ hat er auch den Vater von Marco gespielt.
Karl-Heinz Herden: Für uns ist der Verein und das Theater sehr interessant. Ich habe meinen Kumpel, mit dem ich Tennis spiele, mitgebracht. Eigentlich haben wir für so etwas gar keine Zeit. Wir sind überall und nirgendwo und machen alles mit. Wir treffen uns aber sehr gern hier, weil wir immer Spaß haben. Dann gibt es auch mal eine Flasche Wein oder ein Glas Sekt und wir haben immer viel zu reden. Es ist wirklich eine dufte Truppe hier.
Einzelne Episoden beschreiben am besten dieses Gefühl hier, wie z.B. die Situation hinter den Kulissen bei „Marco Polo“ mit den verhaltensauffälligen Kindern. Das Publikum wurde eingelassen und es sollte absolute Ruhe sein. Die Kinder sind eigentlich sehr zappelig. Aber als es drauf ankam, war es wirklich mucksmäuschenstill. Das war beeindruckend. Ein weiterer Eindruck für mich waren Situationen mit den mitwirkenden Ausländerinnen. Zwischen den Szenen mussten wir uns oft umziehen. Ganz selbstverständlich taten wir das einfach vor den anderen. Die Ausländerinnen wussten zunächst nicht, was sie machen sollten, zogen sich zurück oder beobachteten uns nur. Aber das war nur am ersten Abend so. Danach war alles okay.
Ein Mädchen aus Marokko war eine kleine Lady, etwa 16 Jahre alt. Sie wollte unbedingt High Heels tragen und damit auftreten. Wir haben ihr aber erklärt, dass sie das nicht machen kann.
Oder auch die chronisch kranken bzw. behinderten Kinder, die als Indianer aufgetreten sind. Denen haben wir nach dem Auftritt gesagt, dass man das gar nicht besser machen kann. Das war fantastisch und für uns alle auch ein Ansporn, besser zu werden.
Mit der Zeit wurde auch der Umgang der verschiedenen Gruppen untereinander immer professioneller. Und das hat echt Spaß gemacht. Bei Marco Polo waren 125 Leute beteiligt. Das alles zu koordinieren, war schon eine Leistung.
Seit über viereinhalb Jahren bin ich Pensionär nach über 37 Jahren im Strafvollzug, zuletzt als Direktor. In meiner aktiven Zeit in der Justizvollzugsanstalt Waldheim rief eines Tages meine Wache an und sagte: „Hier unten steht ein Italiener.“ Ich habe geantwortet: „Das ist aber schön, ist er mit der Gondel gekommen? Schicken sie ihn mal hoch zu mir.“ Giorgio hat mir von seiner Zeit in Berlin erzählt und von seiner Projektidee, die er nun gerne mit Gefangenen umsetzen wollte. Und ich habe dann gesagt: „Ja, dann machen Sie doch!“ Und dann war er auf einmal ganz still und ich fragte mich, warum er so ruhig war. Er meinte dann, dass es ihn wunderte, dass ich einfach „Ja“ gesagt habe. Den Projektantrag mit entsprechendem Konzept hat das Ministerium bewilligt und so begann Giorgio sein Projekt im Knast. So haben wir uns kennengelernt.
Dann hatten wir uns eine Weile aus den Augen verloren, weil ich nicht mehr in Waldheim arbeitete. In der Zeitung ist meiner Frau und mir dann irgendwann eine Anzeige zu einem italienischen Kochkurs aufgefallen, der hier auf dem Vereinsgelände stattfinden sollte. Dieser Kochkurs mit Giorgio hat uns sehr gefallen. Wir wollten noch mehr verrückte Sachen machen und natürlich viel lachen. Und so haben wir uns wieder gefunden. So machen wir jetzt schon seit Jahren verschiedene Projekte, die mit Theater, Masken und Kochen zu tun haben.
Noch ein letztes Thema. Wenn wir über Barrierefreiheit reden, reden wir auch über die Barrierefreiheit für die Zuschauer. Damit meine ich nicht nur den behindertengerechten Zugang oder die Toilette in der Spielstätte. Bei jedem Theaterstück waren zwei Gebärdendolmetscher dabei, die alles für die gehörlosen oder gehörgeschädigten Zuschauer in Gebärdensprache übersetzten. Für die blinden Besucher haben wir jede Szene als Text eingesprochen, so dass sie dem Stück wie einem Hörspiel folgen können.
Website des Vereins Förderkreis Centro Arte Monte Onore e.V.: http://www.centro-monte-onore.de/
Interview geführt am: 06. Juni 2019
Hallo!
Wir sind Teil der Theater-Gruppe CAMO.
Pier Giorgio Furlan:
Im Jahr 2000 habe ich ein Gebäude in der Nähe von Kriebstein gekauft.
Kriebstein liegt bei Döbeln.
Und dann habe ich das Kultur-Zentrum gegründet.
Das Kultur-Zentrum heißt Förderkreis Centro Arte Monte Onore.
Die Abkürzung ist CAMO.
Ich bin Künstler und Architekt.
Mein Schwer-Punkt ist das Theater.
Und die Masken-Bildnerei.
Der Anfang hier war nicht leicht.
Aber heute kommen die Leute gerne her.
Sie sagen:
Es ist ein Paradies hier.
Vor ein paar Jahren waren wir bei einem Konzert in Chemnitz.
Es waren viele behinderte Musiker dabei.
Wir waren sehr beeindruckt.
Deshalb haben wir Horst Wehner kontaktiert.
Er hatte die Veranstaltung organisiert.
Ich habe zu Horst Wehner gesagt:
Ich will ein Theater-Stück machen mit Menschen mit Behinderung in den Haupt-Rollen.
Horst Wehner ist Roll-Stuhl-Tänzer.
Das erste Stück hatte den Namen La Piazza.
Wir sind damit in 2 Theatern aufgetreten:
- im Tivoli in Freiberg
- im Schauspiel-Haus Chemnitz
Ein anderes Stück hatte den Namen Marco Polo.
Bei Marco Polo haben 120 Personen mitgespielt.
Was macht barriere-freies Theater aus?
Wir haben keine Barrieren gegenüber behinderten Menschen.
Wir sind im Kopf frei.
Das ist wichtig.
Daniel Behnisch:
Ich hatte im Jahr 1995 einen schweren Motor-Rad-Unfall.
Jemand hat mir die Vorfahrt genommen.
3 Monate war ich im Koma.
Koma ist wie ein tiefer Schlaf, aus dem viele Menschen nicht mehr aufwachen.
Ich bin wieder aufgewacht.
Aber ich habe meine rechte Seite nicht mehr gespürt.
Heute bin ich froh, dass ich überhaupt noch lebe.
Der Giorgio hat damals einen Masken-Kurs für Erwachsene angeboten.
Meine Mutter hat mir gesagt:
Mach doch mit.
So bin ich zum Theater gekommen.
Giorgio ist sehr temperament-voll.
Es ist toll, was er hier geschafft hat.
Vorher waren hier nur alte Gebäude.
Und nun ist vieles gemacht.
Und es gibt die Theater-Gruppe.
Karl-Heinz Herden:
Ich habe beim Stück Marco Polo mitgespielt.
So bin ich zur Theater-Gruppe gekommen.
Ich muss sagen:
Das war eine der wertvollsten Erfahrungen für mich.
Vorher habe ich immer gedacht:
Die anderen haben eine Behinderung.
Aber jetzt frage ich mich:
Wer hat eigentlich die Behinderung?
Ich bin sehr dankbar, dass ich Giorgio kennen-gelernt habe.
Und dass ich bei seinen Theater-Stücken mitmachen kann.
Das Gespräch war am 6. Juni 2019.
CAMO e. V.
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
CAMO e. V.
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: