Ich bin Lara, 27 Jahre alt und komme aus Dresden. Ich habe in Görlitz Gesundheitsmanagement im Bachelor studiert und arbeite jetzt für die LAG SH Sachsen e.V.
Als ich damals studiert habe, wusste ich noch nichts von meiner Krankheit. Ich habe 25 Jahre ohne Vorbelastung gelebt und dann kam im Juni 2021 die Diagnose „Multiple Sklerose“ (MS). Ich bekam damals einen Schub: Ich habe Doppelbilder gesehen. Für den ersten Schub ist das sehr typisch.
MS ist eine chronisch entzündliche Krankheit des zentralen Nervensystems, eine Autoimmunerkrankung. Sie verläuft in den meisten Fällen in Schüben und äußert sich ganz verschieden, deshalb wird sie auch die „Krankheit der tausend Gesichter“ genannt. Alle möglichen Symptome könnten ein Schub sein.
Nach der Diagnose dachte ich: „Okay du musst jetzt alles ändern. Dir wurde gerade komplett die Gesundheit genommen.“ Dann ging psychisch erstmal gar nichts mehr und es haben sich Ängste hinzugeschaltet. Jetzt pendle ich mich gerade ein und weiß, was gut für mich ist.
Die Menschen, die mich sehen, kommen erstmal nicht darauf, dass ich vielleicht gerade total müde oder kognitiv überhaupt nicht zu gebrauchen bin. Deshalb gehe ich auch so offen damit um, dass ich MS habe. Nur so können die anderen verstehen und lernen. Ich will nicht, dass meine Krankheit zu einem Tabu wird, denn die MS bestimmt ja nicht meinen Wert.
Ich versuche auf meinem Instagram-Kanal zu vermitteln, dass wir alle miteinander sensibler umgehen sollten. Ich versuche dort auch immer mal Ausschnitte aus meiner Realität zu zeigen, was äußerlich zu sehen ist und was innerlich passiert, auch was für Ängste ich mittrage. Genauso gucke ich bei anderen, wie es denen geht. Und ich weiß, an wen ich mich wenden kann, wenn ich eine Frage habe. Wir tauschen uns auf Instagram sehr viel aus. Es ist immer wieder bestärkend, wenn man feststellt, dass man nicht allein ist.
Mir ganz persönlich ist es wichtig, dass ich in Zukunft weiterhin viel verreisen kann. Ich möchte gesunden Respekt vor meiner Krankheit haben, aber keine Angst. Denn trotz allem ist das Leben super lebenswert. Das wünsche ich mir aber auch für alle anderen. Ich glaube, dass die Menschen füreinander da sein und nicht gegeneinander arbeiten sollten.
Interview wurde geführt am: 18. April 2023
Ich bin Lara, 27 Jahre alt und komme aus Dresden. Ich bin hier aufgewachsen und immer hiergeblieben, außer für das Studium. Ich habe in Görlitz Gesundheitsmanagement im Bachelor studiert. Dafür war ich drei Jahre in Görlitz und bin dann aber direkt wieder zurück nach Dresden gegangen. Ich bin gerne in der Welt unterwegs und an anderen Orten, aber mein Zuhause ist in Dresden. Nach dem Studium war ich acht Monate auf Südamerikareise, aber auch danach wollte ich gern wieder zurück in meine alte Heimat.
Nach meiner Reise bin ich in meinen ersten Job gestartet. Ich habe geholfen, den Hebammen-Studiengang in Dresden mit aufzubauen. Der wurde damals gerade akademisiert. Zwischenzeitlich habe ich die Diagnose „Multiple Sklerose“ (MS) erhalten. Irgendwann war dann Zeit für eine neue Arbeit und so bin ich zufällig auf die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V. (LAG SH) gestoßen. Da ich nun selbst betroffen war und eine neue Verbindung zu dem Thema chronische Erkrankungen hatte, wollte ich wirklich gern dahin und es hat auch geklappt.
Als ich damals studiert habe, wusste ich noch nichts von meiner Krankheit. Ich habe 25 Jahre ohne Vorbelastung gelebt und dann kam 2021 die Diagnose. Ein halbes Jahr vorher habe ich schon gemerkt, dass ich extrem müde bin. Ich bin zu der Zeit auch schon auf den Begriff Fatigue gestoßen, und habe überlegt, ob ich das eventuell habe. Ich hatte mich bis dahin aber nie wirklich an Ärzte gewandt. Im Juni bekam ich dann einen Schub – ich habe Doppelbilder gesehen. Das war erstmal wie ein Schielen. Da dachte ich erst: „Okay, das ist vielleicht stressbedingt.“ Aber es wurde Tag für Tag stärker, so dass ich, wenn ich geradeaus geschaut habe, Bilder nebeneinander gesehen habe. Für den ersten Schub einer MS ist das sehr typisch. Im Endeffekt handelt es sich um eine Sehnerv-Entzündung, das ist ganz häufig im ersten Schub so.
Am dritten oder vierten Tag bin ich zur Ärztin gegangen, die mich dann erstmal in die Augenklinik überwiesen hat, weil sie dachte, es ist vielleicht etwas mit dem Auge. Die Augenärzte guckten mich an wie im Zoo, weil ich das reinste Mysterium für sie war. Sie sind dann zumindest soweit gekommen, dass man das mit einem MRT abklären müsste. Und dann sollte ich am selben Tag noch in die neurologische Notfallaufnahme gehen. Dort wurde das erste MRT gemacht und Entzündungsherde im Gehirn festgestellt. Auf dem MRT sieht man dann quasi kleine weiße Punkte – das sind die Entzündungsherde. Um was es sich genau handelt, war damit allerdings noch nicht klar. Ich wurde erst einmal stationär aufgenommen und dort wurde ein weiteres MRT vom Gehirn und auch von der Wirbelsäule gemacht, diesmal mit Kontrastmittel. Zusätzlich wurden verschiedene Nervenleittests gemacht und auch Nervenwasser entnommen. Das war für mich ganz schlimm.
Durch die vielen Diagnoseverfahren konnten die Ärzte auf MS schließen. Die verschiedenen Marker, die aus den Tests hervorgingen und auch alte Entzündungsherde (sogenannte Läsionen), die im MRT ersichtlich wurden, bestätigten den Verdacht auf MS. Also habe ich die Diagnose MS erhalten und ich stand erst einmal ahnungslos da, wusste nicht genau, was das ist. Ich habe schon einmal etwas darüber gehört, aber mehr auch nicht. Ich musste mich erstmal in die Thematik reinlesen.
Letztlich handelt es sich um eine chronisch entzündliche Krankheit des zentralen Nervensystems, eine Autoimmunerkrankung. Multiple Sklerose verläuft in den meisten Fällen in Schüben, es gibt aber auch verschiedene andere Verlaufsformen, bei der sich der Zustand verstetigt und immer schlimmer wird. Bei mir ist es aber die schubförmige MS.
Nach der Diagnose blieb es eine Weile bei dem einen Schub. Erst vor kurzem hatte ich meinen zweiten Schub, der aber sehr leicht war. Es war eine Empfindungsstörung im Bein. Ich hatte gemerkt, dass sich meine Haut ganz komisch und irgendwie anders als sonst anfühlt. Also gingen wir von einem Schub aus, den mein anstehendes MRT auch bestätigt hat.
MS äußert sich ganz verschieden und wird deshalb auch die Krankheit der tausend Gesichter genannt. So ist es auch – alle möglichen Symptome könnten ein Schub sein. Es können Lähmungen im Gesicht oder Bein sein, oder Empfindungsstörungen, Taubheitsgefühle, Kribbeln und so weiter. Es können aber auch diese Doppelbilder, Spastiken oder Blasenfunktionsstörungen sein. Deshalb bleibt es bei vielen auch erstmal unentdeckt, weil es oftmals auch Symptome sind, die schnell auf Stress geschoben werden können. Das habe ich am Anfang ja selbst auch gemacht. Bei vielen wird die MS auch erst nach zwei, drei Schüben diagnostiziert. Bei mir war es eben so ein starker erster Schub, der so auffällig unnormal war, dass ich mir selbst nichts mehr schönreden konnte.
Man kann MS prinzipiell immer bekommen. Meistens tritt es aber im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf. Da werden die häufigsten Erstdiagnosen gestellt. Es wird auch doppelt so häufig bei Frauen diagnostiziert als bei Männern. Sicherlich spielen auch hormonelle Einflüsse eine Rolle. Generell schwebt aber ein großes Fragezeichen über der MS. Es ist nicht vollständig geklärt, wie MS entsteht und warum es hauptsächlich im Alter zwischen 20 und 40 auftritt. Letztes Jahr gab es eine große Studie über den Zusammenhang mit dem Eppstein-Barr-Virus. Dazu bestand schon länger die Annahme, dass das Eppstein-Barr-Virus die Entstehung einer MS begünstigen kann. Da ist sicherlich etwas dran. Aber das heißt nicht, wenn man das Virus hatte, man in jedem Fall MS bekommt. Und selbst wenn man das Virus nicht hatte, kann man es trotzdem bekommen. Ich glaube, ich hatte es nicht oder kann mich auch nicht erinnern, ob ich das Pfeiffrische Drüsenfieber, was durch das Virus entsteht, hatte. Aber ich weiß gar nicht genau, ob bei mir darauf getestet wurde.
Man geht auch davon aus, dass die Entstehung der MS etwas mit der Äquatornähe und Vitamin-D zu tun hat. Dort gibt es wohl weniger MS, weil die Sonneneinstrahlung höher ist und die Menschen dadurch mehr Vitamin-D Zufuhr haben. Das sind alles kleine Teile in einem großen Puzzle.
Ich puzzle nicht mit, ich brauche eine gewisse gesunde Distanz. Natürlich belese ich mich und solche großen Erkenntnisse sind total interessant, aber ich kann im Endeffekt jetzt nichts mehr an meiner Diagnose ändern. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es für alle, die damit noch diagnostiziert werden, vielleicht sogar eine Heilung oder auch eine präventive Maßnahme gibt. Das wäre natürlich super. Aber für mich wird sich jetzt nichts mehr ändern, ich habe diese Krankheit und die ist per se unheilbar.
Damals im Krankenhaus, als ich die Diagnose bekam, war ich im Universitätsklinikum in Dresden und musste auf dem Gang schlafen, weil die Station überfüllt war. Auf dem Gang habe ich auch meine Diagnose bekommen. Der Chefarzt stand ziemlich nah an meinem Gangbett und hat mit seinem Assistenzarzt geredet, er meinte noch: „Die Frau sowieso hat Multiple Sklerose“ und dann ging auch schon der Vorhang zur Seite und er sagte: „Ach, sie haben es bestimmt gerade schon gehört“. Da dachte ich auch, der will mich doch gerade verarschen. Ich war in dem Moment geschockt, mit dieser Diagnose zerbrach erstmal meine Welt. Gleichzeitig war ich total wütend, weil die Überbringung so unterirdisch war. Später war ich mit einer anderen jungen Frau in einem Zimmer untergebracht. Sie hatte eine noch nicht diagnostizierte Krankheit, mit der sie sich schon seit Ewigkeiten rumgeschlagen hat. Ihr ging es wirklich nicht gut. Wir haben uns gut verstanden und ich konnte sie ermutigen. So konnte ich auch von mir ablenken.
Nach dem Krankenhaus habe ich dann aber gemerkt, wie ich total irrational wurde. Ich habe angefangen zu googeln und die Faktenchecks zu machen. Danach geht die Welt gleich noch viel mehr unter. Man weiß, dass man das eigentlich nicht machen sollte, aber es machen wahrscheinlich trotzdem fast alle. Ich habe aber auch den Anspruch, Dinge zu verstehen. Gerade wenn mir eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde, kann ich das nicht ‚nicht verstehen‘ wollen.
Im Krankenhaus war ich fünf Tage und hab Kortison bekommen, damit die Entzündung im Gehirn nachlässt. Danach wurde ich entlassen und an das MS-Zentrum in Dresden überwiesen. Das ist natürlich super, da dort alle Forschungsschwerpunkte auf MS liegen. Nach der stationären Behandlung hatte ich zwei Wochen später einen Termin dort. Vor Ort wurde mir auch noch mal erklärt, was MS ist, was ich also genau habe und was man jetzt tun kann. Es ist zwar immer noch das Klinikambiente, aber dort sind die auf MS spezialisierten Ärzte und die wissen, mit welcher Krankheit sie da zu tun haben. Mich holte das ab und war damals auch das erste Mal für mich „ok“.
Dennoch war ich beim ersten Termin im Zentrum ein bisschen geschockt, weil wirklich viele Menschen mit Rollatoren oder Rollstuhl da waren. Das ist ja immer dieses Vorurteil: Du hast MS, okay du landest im Rollstuhl. Im ersten Moment fühlte sich das für mich an, als würde genau das auf mich zukommen. Mittlerweile ist das aber nicht mehr so, es gibt vielzählige Therapiemöglichkeiten, die wiederum völlig andere Zukunftswege gestalten als früher. Ansonsten ist es wirklich schön zu wissen, dass man dort im Zentrum untereinander ist. Ich fühle mich wohl dort.
Beim ersten Termin wurden mir die Therapiemöglichkeiten vorgestellt. Mit der Entscheidung über die Therapie entscheidet sich auch, wie oft man vor Ort ist. Manche Medikamente kann man nur vor Ort erhalten und je nach Therapie müssen außerdem verschiedene Kontrollwerte genommen werden. Parallel laufen dann verschieden Screening-Verfahren, beispielsweise Ganganalysen oder Augenanalysen und Selbsteinschätzungen, um den Verlauf zu kontrollieren. Ganganalyse heißt tatsächlich: Gehen auf einem Band mit Sensoren am Körper. Dabei werden die Geschwindigkeit und Schrittlänge gemessen. Gleiches wird unter kognitiver Anstrengung aufgezeichnet, indem ich beispielsweise Aufgaben rechne. Auch der Rückwärtsgang und das Gleichgewicht und wie viel Strecke ich in zwei Minuten zurücklege werden kontrolliert. Diese Testung findet bei mir einmal im Jahr statt.
Anfangs musste ich aller drei Monate ins Zentrum, weil ich Tabletten bekomme habe. Da gab es Nebenwirkungen, die sie im Blutbild kontrollieren mussten. Aktuell muss ich jeden Monat hin, weil ich ein neues Medikament bekomme, welches ich nur vor Ort erhalten kann. Das Medikament frisst sozusagen die Immunzellen, die sonst den eigenen Körper angreifen. MS ist ja eine Autoimmunerkrankung, bei der sich der eigene Körper gegen einen stellt. Und das wird durch das Medikament verhindert. In den Spritzen, die ich zurzeit bekomme, sind Antikörper drin, die direkt an die Zellen andocken, dadurch wird in mein Immunsystem eingegriffen. Aber es ist nicht so, dass ich kein Immunsystem habe.
Wie das Medikament wirkt, kann ich noch nicht sagen. Ich habe es mit dem zweiten Schub bekommen. Und das ist erst zwei Monate her. Es wird sich zeigen. In einem halben Jahr muss ich zum MRT und da wird geschaut, ob es neue Entzündungsherde gibt. Wenn ja, ist es schlecht, denn dann wirkt das Medikament offensichtlich nicht. Wenn nein, ist das gut und dann machen wir erstmal so weiter, so lange es so bleibt.
Bei dem anderen Medikament wurde das genauso gemacht, aber beim jährlichen MRT wurden dann neue Herde entdeckt. Ich selbst merke davon nicht unbedingt etwas. Bei mir waren es die Empfindungsstörungen im Bein, die gleichzeitig mit dem jährlichen MRT auftraten. Und so konnte man mutmaßen, dass die neuen Entzündungsherde die Auslöser waren. Es kann aber auch sein, dass man neue Herde hat, aber nichts merkt. Das ist eben das Komplizierte an der Krankheit. Oder auch, dass die Schübe nicht so klar sind. MS Patienten merken viele Symptome, aber ein Schub ist es erst, wenn es 24 Stunden bleibt und der letzte Schub einen Monat her ist.
Seit der Diagnose höre ich noch mehr in meinen Körper hinein. Es ist tatsächlich so, dass ich den kompletten Fokus auf den eigenen Körper lege und ständig hinterfrage, ob das jetzt etwas ist, oder nicht. Es kann aber genauso sein, dass nur alte Symptome wieder aufflackern, deswegen ist es nicht gleich ein neuer Schub. Es ist irgendwie ein riesiger Kreislauf. Es schürt eben auch enorm viele Ängste. Ich habe das auch vor dem letzten MRT gemerkt, dass es mir damit überhaupt nicht gut ging. Weil man nie weiß: „Ist da jetzt etwas Neues, wird es jetzt alles schlimmer?“
Stress ist beispielsweise auch einer der größten Trigger für einen Schub. Aber den gilt es ja auch bei einem gesunden Menschen zu reduzieren und für so eine entzündliche Krankheit umso mehr. Die Ernährung sollte man ausgewogen halten, sich viel bewegen und Sport treiben. Es gab früher die Annahme zu viel Sport wäre nicht gut für MS-Patienten, weil es in die Erschöpfung geht, aber das ist jetzt tatsächlich anders. Da gibt es neue Studien, die sagen, dass man auch schon bis in die Belastungsgrenze gehen kann – ‚kann‘ nicht ‚muss‘. Und generell hilft regelmäßiges Training. Aber eigentlich ist das für alle Menschen wichtig: Weniger Stress, gute Ernährung und Sport.
Ich versuche Sport zu machen, aber das ist auch der Konflikt, den man hat. Man weiß, dass man was machen muss, aber durch die MS habe ich so viele Termine, dass ich gar nicht dazu komme. Das ging bei mir mit zweimal Physiotherapie die Woche los. Ich würde auch sagen, dass ich durch die MS mittlerweile mehr Schmerzen habe, als früher. Ich habe mehr Verspannungen und Schmerzen, die sich verstärken, seit ich die Diagnose habe. Aber vielleicht ist das auch psychisch bedingt. Ich habe neuropathische Schmerzen. Die sind wie Nadelstiche und die versuchen wir in der Physiotherapie zu behandeln. Dann habe ich noch Logopädie. Das probiere ich gerade aus, weil ich immer mal Schluckstörungen und Sprachstörungen habe. Das kommt aber auch als Termin noch dazu. Eine Langzeitpsychotherapie hatte ich nach der Diagnose auch noch. Das waren dann halt vier Termine in der Woche und dann muss man noch Zeit für Sport haben. Ich habe auch stark mit Fatigue zu tun, und es ist dann so schwer sich zu überwinden, noch Sport zu machen. Obwohl es in dem Moment helfen würde, und das weiß ich auch. Aber wenn ich liege und der Körper wie magnetisch nach unten gezogen wird – es ist keine Müdigkeit, sondern so eine richtige Schwere – dann ist auch mein Kopf leer. Ich bin kognitiv zu nichts mehr zu gebrauchen. Auch motorisch bin ich dann total unfähig, mir fällt alles aus der Hand. Da fällt es mir wirklich schwer, noch Sport zu machen.
Nach der Diagnose war es so, dass ich dachte: „Okay du musst jetzt alles ändern, deinen kompletten Lebensstil. Dir wurde gerade komplett die Gesundheit genommen.“ Dann habe ich gemerkt, dass psychisch erstmal gar nichts mehr geht und ich immer träger wurde und dann haben sich Ängste hinzugeschaltet. Und jetzt pendle ich mich gerade ein und weiß, was gut und gesund für mich ist. Und man lernt natürlich mit so einer Schock-Diagnose, alles neu wertzuschätzen. Plötzlich muss man sich mit solchen schweren Themen beschäftigen und hat ein Verständnis dafür, wie schnell einem die eigene Gesundheit genommen werden kann.
In meinem Umkreis war es für alle ein Schock und meine Eltern haben sich Vorwürfe gemacht, obwohl sie ja gar nichts dafürkönnen. Das ist aber wahrscheinlich typisch Mama und Papa. Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass da ganz viele Sorgen waren. Aber richtig dolle hat sich in meinem Umfeld nichts geändert. Ich musste aber alle mehr sensibilisieren, dass bei mir nicht mehr ganz so viel möglich ist, dass ich Termine absage, weil es mir nicht gut genug geht. Oder, dass ich hier und da auch vielleicht mehr Unterstützung brauche, weil mich manche Dinge mehr anstrengen oder überfordern, wie zum Beispiel Einkaufen.
Da haben sich schon einige Dinge geändert und dafür musste ich sensibilisieren. Denn bei einer unsichtbaren Krankheit sehen es die anderen halt nicht. Die Menschen, die mich so sehen, kommen erstmal nicht darauf, dass ich vielleicht gerade total müde oder kognitiv gerade überhaupt nicht zu gebrauchen bin. Deshalb gehe ich auch so offen damit um, dass ich MS habe. Nur so können die anderen auch daraus lernen und verstehen, was mit anderen Menschen los ist. Ich will nicht, dass es zu einem Tabu wird, denn die MS bestimmt ja nicht meinen Wert. Alles was man versuchen kann, ist mit der Krankheit umzugehen. Die Menschen in meinem Umfeld können mich nicht unterstützen, wenn sie nicht wissen, was mit mir los ist. Dieses Kommunizieren ist auch ein Prozess. Denn es nimmt mich natürlich mit, wenn es an mir hängt, dass ein Treffen mit Freunden nicht zustande kommt. Ich würde auch sagen, dass einige Freunde nicht mehr zu den engen Freunden gehören, weil ich einfach keine Energie hatte, für ein Treffen nach Feierabend.
Aber nur in dem ich es kommuniziere, können die anderen Verständnis aufbauen. Manche Menschen sind da auch etwas ‚trampelig‘. Aber ich denke, wenn ich die ein wenig aufklären kann, ist schon viel geholfen.
Ich selbst bin in keiner Selbsthilfegruppe. Ich hatte es lange auf meiner Liste. Dann habe ich aber tatsächlich Instagram für mich entdeckt, weil da die MS-Blase ganz groß ist. Das ist quasi auch wie eine digitale Selbsthilfegruppe. Die Community dahinter ist sehr stark und alle haben sich auf die Fahne geschrieben, zu sensibilisieren und füreinander da zu sein.
Ich versuche auf meinem Instagram Kanal zu vermitteln, dass wir alle miteinander sensibler umgehen sollten. Ich versuche dort auch immer mal Ausschnitte aus meiner Realität zu zeigen. Wie ein Tag bei mir aussehen kann. Was da äußerlich zu sehen ist, und was innerlich passiert. Auch was für Ängste ich mittrage. Genauso gucke ich bei anderen, wie es denen geht und weiß an wen ich mich wenden kann, wenn ich mal eine Frage habe. Wir tauschen uns dort sehr viel aus, sei es öffentlich unter Beiträgen oder auch privat. Es ist immer wieder bestärkend, wenn man feststellt, dass man nicht allein ist. Persönlich habe ich aber noch niemanden aus der Community kennengelernt, aber ich hoffe das kommt noch. Bei Social-Media sind es auch ganz viele junge Menschen, die sich dort austauschen und selbst von MS betroffen sind, die eine ähnliche Realität wie ich haben. Das hilft mir sehr.
Mir ganz persönlich ist es wichtig, dass ich in der Zukunft weiterhin viel verreisen kann. Zwischendurch hatte ich die Ängste, dass das mit den Medikamenten nicht so gut geht. Denn man ist ja abhängig davon, dass man sein Medikament regelmäßig bekommt. Ich hoffe, dass sich Wege finden lassen, dass ich unabhängig bin und verreisen kann. Ich möchte gesunden Respekt vor meiner Krankheit haben, aber keine Angst. Denn trotz allem ist das Leben super lebenswert. Das wünsche ich mir aber auch für alle anderen. Denn neben der Tatsache, dass man sein eigenes Leben viel mehr wertschätzt, wird man selber viel sensibler für jedes Päckchen, was die Menschen mit sich rumtragen.
Ich hoffe einfach, dass wir generell sensibler miteinander umgehen. Ich glaube, dass die Menschen füreinander da sein und nicht gegeneinander arbeiten sollten.
Hallo!
Ich bin Lara, 27 Jahre alt.
Ich komme aus Dresden.
Ich habe in Görlitz Gesundheits-Management studiert.
Jetzt arbeite ich für die Selbst-Hilfe Sachsen.
Als ich studiert habe, wusste ich noch nichts von meiner Krankheit.
Mit 25 Jahren haben Ärzte mir gesagt, dass ich Multiple Sklerose habe.
Das war im Jahr 2021.
Damals habe ich plötzlich alles doppelt gesehen.
Deshalb bin ich zum Arzt gegangen.
Der hat dann festgestellt, dass ich Multiple Sklerose habe.
Multiple Sklerose wird MS abgekürzt.
MS ist eine Krankheit des zentralen Nerven-Systems.
Die Krankheit wird auch Krankheit der 1000 Gesichter genannt.
Denn es kann ganz verschiedene Probleme geben.
Nachdem ich von meiner Krankheit erfahren habe, dachte ich:
Okay, du musst jetzt alles ändern.
Dir wurde gerade komplett die Gesundheit genommen.
Dann war ich für einige Zeit sehr niedergeschlagen.
Ich hatte große Ängste.
Jetzt geht es mir langsam wieder besser.
Und ich weiß, was gut für mich ist.
Die Menschen sehen mir meine Krankheit nicht an.
Sie merken vielleicht nicht, dass ich gerade total müde bin.
Oder dass ich mich überhaupt nicht konzentrieren kann.
Deshalb sage ich allen, dass ich MS habe.
Nur so können die anderen verstehen und lernen.
Sie können mir Fragen stellen.
Wir können darüber reden.
Es soll klar sein:
Die Krankheit bestimmt nicht meinen Wert.
Ich habe einen Instagram-Kanal.
Dort will ich zeigen, dass wir einfühlsamer miteinander umgehen sollen.
Ich zeige dort Ausschnitte aus meinem Alltag.
Das, was äußerlich zu sehen ist.
Und wie es in mir ausschaut.
Also meine Sorgen und Ängste.
Ich will auch wissen, wie es den anderen geht.
Es gibt Leute, an die ich mich bei Fragen wenden kann.
Wir tauschen uns auf Instagram viel aus.
Es ist toll, dass ich nicht allein bin.
Meine Wünsche für die Zukunft:
Ich möchte weiterhin viel verreisen.
Ich möchte gut auf mich aufpassen.
Aber ich will keine Angst vor meiner Krankheit haben.
Denn trotz allem ist das Leben super lebenswert.
Das wünsche ich mir selbst.
Aber auch allen anderen mit einer Krankheit.
Ich glaube:
Die Menschen sollen füreinander da sein.
Das Gespräch war am 18. April 2023
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Lara
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):