Ich bin Leonie, 19 Jahre alt und komme aus Schildau. Ich besuche momentan das Berufsbildungswerk in Chemnitz (BBW) und mache dort meine blindentechnische Grundausbildung, die mich auf meinen Alltag und auch auf die bevorstehende Ausbildung vorbereitet. Ich möchte auf dem freien Arbeitsmarkt eine Ausbildung machen und habe da gerade noch Bewerbungen laufen.
Ich habe Zapfen-StĂ€bchen-Dystrophie. Das ist eine Augen-Erkrankung, bei der auf der Netzhaut die Zapfen und StĂ€bchen absterben, die quasi fĂŒr das Licht- und Farbsehen zustĂ€ndig sind. Die Diagnose habe ich mit sieben Jahren bekommen und dann verlief es in SchĂŒben. Seit 2018 habe ich mein âBlindseinâ anerkannt bekommen. Ich sehe noch Umrisse und Farben. Aber das ist stark von den LichtverhĂ€ltnissen abhĂ€ngig.
Ich bin viel auf TikTok und Instagram unterwegs. Auf TikTok tanze ich viel. Mir werden stĂ€ndig diese Tanz-Challenges vorgeschlagen und dann sage ich zu meiner Mutter: âKannst du mir sagen, wie die das gerade machen und es mir erklĂ€ren?â Dann stehen wir manchmal einfach in der Stube, sie fasst mich an und zeigt mir, wie die das machen. Ich finde es einfach cool.
Ich glaube, dass viele Leute ein ganz falsches Bild von Menschen mit einer Behinderung haben, weil der tagtĂ€gliche Kontakt fehlt. Erst mit dem Kontakt verstehen die Leute, dass es bei âdenenâ eigentlich genauso lĂ€uft wie bei einem selbst. Ich merke das anhand der Fragen, die mir gestellt werden. Oft habe ich tausend Fragezeichen im Kopf und denke mir so: âHĂ€h?â. Das sind so Fragen wie, ob ich alleine duschen kann oder ob ich mir alleine mein Essen mache.
Meine Ziele: Ich will auf jeden Fall mit meinen Social-Media-KanĂ€len weitermachen, vielleicht auch noch im gröĂeren Stil. Ich will noch mehr Leute erreichen und so viele Barrieren wie möglich abbauen.
Ich will mich nicht hinter meiner Behinderung verstecken. Wenn man selbstbewusst damit umgeht, erfĂ€hrt man auch mehr positives Feedback. Was ich mir wĂŒnschen wĂŒrde: Geht auf uns zu, ohne viel darĂŒber nachzudenken. Wir sind auch nur Menschen. Das ist auf jeden Fall so eine Message. Und generell: Seid selbstbewusst!
Interview wurde gefĂŒhrt am: 20. Juli 2023
Ich bin Leonie, 19 Jahre alt und komme aus Schildau. Ich besuche momentan das Berufsbildungswerk in Chemnitz (BBW) und mache da meine blindentechnische Grundausbildung, die mich auf meinen Alltag und auch auf die bevorstehende Ausbildung vorbereitet. Das geht jetzt im September 2023 zu Ende, dann ist mein Jahr quasi vorbei.
Wie es dann weitergeht, weiĂ ich tatsĂ€chlich noch gar nicht so richtig. Ich habe beim BBW theoretisch einen Ausbildungsplatz, aber ich möchte auf dem freien Arbeitsmarkt eine Ausbildung machen und habe da gerade noch Bewerbungen laufen. Aber meine Erfahrung ist tatsĂ€chlich so, dass sich viele davor scheuen, Azubis mit Handicap zu nehmen. Eigentlich möchte ich in den Medienbereich. Ich hatte mich beim MDR beworben. Die meinten, das wĂŒrde mit meiner visuellen EinschrĂ€nkung nicht funktionieren. Jetzt will ich erst einmal in die Verwaltungsrichtung gehen, also Verwaltungsfachangestellte oder Kauffrau BĂŒromanagement.
Da komme ich vielleicht gleich zu meiner EinschrĂ€nkung, das habe ich nĂ€mlich noch gar nicht gesagt. Ich habe Zapfen-StĂ€bchen-Dystrophie. Das ist eine Erkrankung der Netzhaut, wo die Zapfen und die StĂ€bchen auf der Netzhaut absterben, die quasi fĂŒr das Licht- und Farbsehen zustĂ€ndig sind. Die Diagnose habe ich mit sieben Jahren bekommen und dann verlief es in SchĂŒben. Seit 2018 habe ich mein âBlindseinâ anerkannt bekommen.
Ich sehe schon noch Umrisse und auch Farben. Aber das ist stark von den LichtverhÀltnissen abhÀngig, wie hell und dunkel es ist. Wie sich die Krankheit entwickelt, ist quasi offen. Sie ist aber genetisch bedingt. Meine Mutti hat das eine kaputte Gen und mein Vater eben das andere. Und ich hatte die minimale Wahrscheinlichkeit, beide Gene zu bekommen, was leider geklappt hat.
In der Vorschule habe ich gemerkt, dass ich in der Ferne nicht mehr sehen konnte. Ich habe beispielsweise Tiere verwechselt. Daraufhin bin ich normal zum Haus-Augenarzt gegangen. Die meinten, ich brauche nur eine Brille fĂŒr die Weitsicht. Ich musste dann ein Jahr lang meine Augen abkleben, also immer einmal das linke und dann wieder das rechte Auge. Das hatte aber keinen Erfolg gebracht, ganz im Gegenteil, es ist immer schlechter geworden. Dann haben sie uns an die Uniklinik in Leipzig geschickt, und die haben tausend verschiedene Tests gemacht. Dort wurde vermutet, dass ich diesen Gendefekt habe. Deshalb haben sie uns noch zum Gen-Abgleich nach Halle geschickt.
Die Grundschule habe ich noch an einer normalen Regelschule gemacht. Aber ich brauchte ab der zweiten Klasse Hilfsmittel, also habe ich ein Tafel-LesegerĂ€t bekommen. Es gibt die normalen LesegerĂ€te, die sind quasi wie ein Bildschirm, wo untendrunter eine Kamera angebracht ist, um beispielsweise ein Buch zu vergröĂern. Ein Tafel-LesegerĂ€t hatte zwei Funktionen. Ich konnte mein Buch damit einscannen und vergröĂern. Und es hatte eine schwenkbare Kamera, sodass ich das auch auf die Tafel richten konnte.
Ich bin quasi mit der Diagnose eingeschult worden und nach der 4. Klasse hatte ich noch circa sieben Prozent Restsehvermögen. Der gröĂte Teil meines Sehvermögens ist mir in der Grundschule verloren gegangen.
Danach wollte ich eigentlich zusammen mit einem Schulbegleiter weiter auf eine weiterfĂŒhrende normale Schule gehen. Mir wurde dann aber letzten Endes durch meine Eltern die Entscheidung abgenommen, und dann bin ich nach der 4. Klasse auf die Blindenschule nach Leipzig gegangen.
Das war vor allem ein Bruch in meinem Leben. Ich war ja dann alleine. Alle anderen sind hier auf die umliegenden Schulen gegangen, da ist der Kontakt ganz weggebrochen. Das war eine Umstellung. Ich habe trotzdem weiterhin hier gewohnt und bin jeden Tag nach Leipzig gefahren, mit einem Taxi oder spĂ€ter auch mit einem Sammel-Fahrdienst. WĂ€re das eine Einzelfahrt gewesen, wĂ€re es eine Stunde oder eine Stunde zwanzig gewesen. Aber durch diesen Sammel-Fahrdienst, ich war die erste, haben wir alle Dörfer abgegrast, um alle mitzunehmen, die bis Leipzig mitwollten. Das waren nicht einmal unbedingt SchĂŒler meiner Schule, sondern auch Kinder, die auf die HörgeschĂ€digten-Schule gingen. Ja, das waren teilweise Fahrten von zwei bis zweieinhalb Stunden. Dadurch ist mir viel Zeit am Tag verloren gegangen. Ich bin 17:00 oder 17:30 Uhr aus der Schule gekommen, frĂŒh 5:30 Uhr aus dem Haus, und dann war nicht mehr wirklich viel mit Leben. Deswegen hat es ganz schön lange gedauert, bis ich das so akzeptiert habe. Die Entscheidung war gut. Das konnte ich aber lange nicht so sehen, erst an dem Punkt, wo ich gemerkt habe: Okay, ich werde dort tatsĂ€chlich gefördert, und das kommt mir zugute.
In Leipzig war ich, obwohl ich noch gesehen habe, eine derjenigen, die am schlechtesten gesehen hat. Wir hatten auch viele MitschĂŒler, die Kombi-Erkrankungen hatten, also Autismus mit Sehbehinderung und sowas. Am Anfang habe ich noch viel visuell gemacht, irgendwann war das aber nicht mehr möglich, weil ich meine eigene Schrift im Heft nicht lesen konnte. Dann habe ich irgendwann digital gearbeitet, also mit Laptop und Braillezeile. Eine Lehrerin hatte sich bereit erklĂ€rt, sich das anzueignen und mir weiterzuvermitteln. Die Lehrer konnten das alle nicht, denn die meisten SchĂŒler konnten immer noch so gut sehen, so dass sie auf solche Hilfsmittel nicht angewiesen waren. Dann kam die Corona-Zeit, in der ich mir sehr viel selbst beigebracht habe. Das war auch die Phase, wo ich viel von der Krankenkasse bekommen habe. Seit ich in Chemnitz bin, habe ich all mein Können quasi gefestigt. Und es ist noch viel mehr dazugekommen.
Jetzt bin ich unter der Woche tatsĂ€chlich im Internat. Das war aber auch eine Umstellung. Ich hĂ€tte damals in Leipzig auch aufs Internat gehen können, das war aber ein öffentliches Internat fĂŒr alle Schulen, die irgendwie ihre Kinder unterkriegen wollten. Und ich wusste eigentlich, dass ich nicht so der Typ dafĂŒr bin. Das Jahr in Chemnitz ist irgendwie rumgegangen, aber es hat nicht diesen Zuhause-Status bekommen. Ich habe sonntags immer so ein bisschen das GefĂŒhl: Muss ich jetzt wirklich? Aber es ist schon in Ordnung. Wir sind in Chemnitz 16 Blinde in einem Haus, und auf einer Etage sind sieben Leute. Wir haben eine KĂŒche zusammen, und sonst hat jeder sein Zimmer und sein Bad.
Ich sehe das von zwei Seiten: Auf der einen Seite ist es gut, wenn man unter Gleichen ist, weil man dazulernt, ob es jetzt etwas ĂŒber Hilfsmittel ist oder auch Lebenserfahrung. Bei der MaĂnahme, die ich gerade mache, sind nur Menschen dabei, die irgendwie im Laufe ihres Lebens erblindet sind. Der Ălteste bei uns in der Klasse ist, glaube ich, 51 Jahre alt. Er macht es, um seinen Job weiter ausĂŒben zu können.
Aber auf der anderen Seite sage ich immer, wenn man immer im gleichen Topf bleibt, mit den gleichen Leuten, und nicht unter Sehende kommt, dann bleibt diese Hemmschwelle, die ich schade finde. Das betrifft gerade Jugendliche, die dann auch BerĂŒhrungsĂ€ngste haben. Man will ja auch nicht nur unter Gleichgesinnten sein. Man hat auch sehende Freunde.
Ich habe in Schildau schon noch zwei, drei Leute, aber es ist echt nicht die Masse. Es ist auch schwierig, selbst wenn man mal weggeht oder so. So viel wird visuell ausgemacht, also dass man sich sieht und dann spricht man die Leute an. Das fÀllt ja bei mir weg. Ich finde es schon ganz schön schwierig.
Ich bin deshalb viel auf TikTok und Instagram unterwegs. Auf Instagram sind die Kontaktmöglichkeiten ein bisschen besser. Klar lernt man da auch mal unter vielleicht zwanzig Leuten einen oder eine kennen, aber im GroĂen und Ganzen darf man nicht vergessen, dass es das Internet ist. Da kann jeder alles sein.
Auf TikTok tanze ich viel. Mir werden die ganze Zeit diese Tanz-Challenges vorgeschlagen, und dann sage ich zu meiner Mutter: âKannst du mir sagen, wie die das gerade machen und kannst es mir erklĂ€ren?â Und dann stehen wir manchmal einfach in der Stube, sie fasst mich an und zeigt mir, wie die das machen. Ich finde es einfach cool.
Bei TikTok bin ich in den letzten Monaten relativ oft live gewesen. Da kommen dann die Leute rein und stellen ihre Fragen. Und das ist eigentlich auch das, was ich erreichen will. Wenn zwischen zwanzig und fĂŒnfzig Leute bei einer Live Session dabei sind, kann man quasi eine GesprĂ€chsrunde eröffnen, und dann kommt man von einem Thema zum nĂ€chsten. Das ist einfacher, als wenn ich zu jedem Thema ein Video mache.
Meistens fragen die Leute zuerst: âWas ist mit deinem Auge?â Weil das natĂŒrlich offensichtlich ist. Darauf folgen dann meistens die Fragen âSeit wann ist das?â und âWie ist das gekommen?â und âWas machst du?â. Und je nachdem, kommt es dann auch zu tiefgrĂŒndigeren Themen, oder es bleibt relativ oberflĂ€chlich. Auf Instagram versuche ich das nach dem Motto: âStell mir Fragenâ.
Meine Erfahrung ist, dass viele Leute auf Social-Media ein bisschen eine Hemmschwelle haben, weil ich sehen kann, wer die Frage gestellt hat. Ich glaube, manchen ist es deshalb unangenehm. Deswegen gehe ich jetzt noch einen anderen Weg, ĂŒber den mir die Menschen anonym ihre Fragen stellen können. Das klappt auch ganz gut. Ich habe schon deutlich mehr Fragen bekommen, als wenn ich das direkt ĂŒber Instagram mache. Aber anonym ist halt auch anonym, und da denkt jeder, dass er alles fragen kann. Da muss man auch aufpassen.
Die App heiĂt Tellonym. Ich bin gerade am Testen, ob sie auch barrierefrei ist. Ăber die App können mir Leute anonym ihre Fragen stellen. Ich kann sie dort in der App beantworten, aber parallel auch gleich auf Instagram posten. Ich bekomme aber keine Infos zu den Fragestellern.
Ohne die Social-Media-KanÀle wÀre es schon schwierig, weil man dann noch abgeschnittener von der Umwelt wÀre, als man es ja eigentlich eh schon ist. Ist schon gut so, auf jeden Fall. Es gibt auch ein paar bekanntere Blinde, zum Beispiel Mr. BlindLife.
Ich glaube, dass ein ganz falsches Bild von Menschen mit einer Behinderung vermittelt wird, weil die Erfahrung und der tagtĂ€gliche Kontakt fehlen. Erst dann merken die Leute, dass es bei dem eigentlich genauso lĂ€uft wie bei einem selbst. Ich merke das anhand der Fragen, die mir gestellt werden. Oft habe ich tausend Fragezeichen im Kopf und denke mir so: âHĂ€h?â. Das sind so Fragen wie: Ob ich mich alleine duschen kann oder ob ich mir alleine mein Essen mache. Ob ich mir alleine meine Sachen heraussuche oder ob das meine Mutti fĂŒr mich macht. Ich glaube, die denken, wenn man das nicht sieht, rennt man rum wie der letzte Kasper. Solche Fragen wie: Schminkst du dich? kann ich noch verstehen, denn das tue ich ja tatsĂ€chlich nicht.
Ich bin beispielsweise ein Schwarz-TrĂ€ger, und deswegen ist es bei mir nicht ganz so problematisch. Egal, was ich aus meinem Schrank ziehe, es ist schwarz. Wenn ich Sachen kaufe, dann fasse ich die an und speichere mir ab, wie sie sich anfĂŒhlen. Zum Beispiel der schwarze Pullover mit dem Aufdruck âHolidayâ, der fasst sich so und so an. Und wenn ich dann frĂŒh an meinen Schrank gehe und den Stoff in der Hand habe, dann weiĂ ich: Ah, das ist der schwarze Pullover mit dem âHolidayâ-Aufdruck. Ich bin nicht so ein Freund von Online-Shoppen. Ich gehe tatsĂ€chlich am liebsten in Leipzig einkaufen, und ich nehme immer noch eine sehende Person mit. In Chemnitz ist das schwierig, da wir ja alle blind sind. Da kann ich nicht sagen: âKomm, wir gehen jetzt mal zusammen shoppen oder so.â
Meine Bewerbungen, die ich gerade laufen habe, sind alle in Leipzig. Wenn ich nach Leipzig ziehen sollte, dann möchte ich am liebsten in einem Randgebiet wohnen. Ich bin kein GroĂstadt-Typ. Ich habe auch Probleme mit den ganzen GerĂ€uschen, das wird mir schnell zu viel. Das Hören ist bei mir extrem. Auf Dauer ertrage ich groĂen StraĂen und StadtlĂ€rm nicht.
Ich muss sagen, dass ich froh bin, dass ich sehr jung war, als ich diese extremen SchĂŒbe hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte und wollte ich nicht so richtig realisieren, was es tatsĂ€chlich bedeutet. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich eine Therapie gemacht und alles aufgearbeitet habe. Mittlerweile bin ich an einem Punkt, wo ich sage: âIch bin damit im Reinen.â Zum Beispiel nutze ich meinen Blindenstock erst seit zwei Jahren aktiv, obwohl ich seit 2018 offiziell blind bin. Aber ich wollte den nicht nehmen, ich habe mich dafĂŒr geschĂ€mt, weil ich wusste, es ist dann offensichtlich, was ich habe. Aber jetzt ist es so, dass ich sage: âEs ist mir wirklich egal.â Selbst wenn jemand da ist, der sich daran stört oder denkt, es wĂ€re lustig, irgendwie einen Gag vor mir zu machen, dann weiĂ ich, dass das absolut nichts mit mir zu tun hat, sondern dass die andere Person mir deutlich unterlegen ist.
Jetzt kommt das nicht mehr so hĂ€ufig vor, aber frĂŒher als ich mich rangetastet habe, passierte es schon oft. Was mir hĂ€ngengeblieben ist, dass man auch potentiell zum Opfer wird, weil ja offensichtlich ist, dass man schwĂ€cher ist. Beispielsweise kann man Opfer von RaubĂŒberfĂ€llen werden. Zum GlĂŒck ist es mir nicht passiert. Ich hatte aber eine Situation, da wĂ€re es dazu gekommen, wenn ich nicht agiert hĂ€tte. Ich habe mich dann einfach zu anderen Leuten dazugestellt, um aus der Situation rauszukommen.
Als ich noch jĂŒnger war, meinte meine Mutter, ich kann Gefahren nicht abschĂ€tzen, weil ich das visuell nicht sehe. FĂŒr mich ist das aber Quatsch, weil ich das spĂŒre. Ich merke auch in der Bahn, wenn mich Leute angucken, auch wenn ich es nicht sehe. Ich kann schnell fĂŒr mich festmachen, ob ich mich mit einer Person unterhalten kann oder nicht. Ich merke das durchaus, nur eben nicht auf Grund der visuellen EindrĂŒcke. Und das finde ich auch gut so, weil visuell oft schnell oberflĂ€chlich gewertet wird.
Es wird sicherlich immer mal Tage geben, wo man sich sagt: âDas ist echt ScheiĂe.â Oder ich denke: âDas hĂ€tte ich gern gesehen.â Jetzt bin ich gerade in dem Alter, wo alle Leute ihren FĂŒhrerschein machen, und ich weiĂ, ich werde fĂŒr immer auf Busse und Bahnen angewiesen sein. Da bin ich auch mal traurig, aber das ist nicht dauerhaft.
In meine Bewerbungsunterlagen schreibe ich rein, dass ich blind bin. Es wird ja auch gefordert, dass man das offensichtlich macht. Ich habe damit auch kein Problem. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Meine erste Bewerbung hatte ich bei der Bundeswehr. Die hatten mir dann tatsĂ€chlich auch einen Ausbildungsvertrag gegeben, aber dann ist es an mir gescheitert. Die Bundeswehr ist dann wieder so groĂ und so zentral, dass sie keine Berufsschule in Leipzig haben. Ich hĂ€tte nach Berlin oder nach Hannover gemusst. Ich hĂ€tte mir dort eine Wohnung nehmen mĂŒssen und mir im Vorfeld die Gegebenheiten im Umfeld erarbeiten mĂŒssen. Und dann wĂ€re ich schon wieder umgezogen. Das wĂ€re so ein Stress gewesen, dass ich abgelehnt haben. War schade.
Dann hatte ich mich beim MDR beworben. Die meinten zu mir, die Ausbildungs-Inhalte wĂ€ren so visuell angelegt, dass ich das nicht leisten könnte. Tja, zuletzt waren es Stadtverwaltungen und Behörden, wo ich mich beworben habe. Da ist es teilweise daran gescheitert, dass sie noch nicht so digital aufgestellt sind. Logischerweise kann ich keine Post bearbeiten, auĂer sie kommt per E-Mail.
Ich finde es schade, dass es nicht als Chance gesehen wird, die Digitalisierung weiter anzukurbeln. Aber ich lasse mich auch nicht unterkriegen. Oft wird argumentiert, dass es ja einfacher wĂ€re, wenn ich meine Ausbildung an einer Schule mache, die auf meine BedĂŒrfnisse zugeschnitten ist. Aber ich weiĂ, dass mein Können soweit ist, dass ich auch in einer normalen Berufsschulklasse locker mithalten kann. Es handelt sich um Wissen, was mir auch akustisch vermittelt werden kann: Mathe, Deutsch und so was.
Dann gibt es Leute, die sagen, dass ich mich doch ĂŒber das Arbeitsamt vermitteln lassen kann. Aber das will ich nicht. Ich will nicht, dass irgendwelche Fördergelder flieĂen, damit mich irgendjemand nimmt. Das sehe ich einfach nicht ein, weil ich denke, dass mein Können genauso gut ist, wie das von anderen, die sich auf AusbildungsplĂ€tze bewerben.
Meine Ziele: Ich will auf jeden Fall weitermachen, was ich hier gerade auf den Social-Media-KanĂ€len mache, vielleicht auch noch im gröĂeren Stil. Ich will noch mehr Leute erreichen und so viele Barrieren wie möglich abbauen. Dieses Jahr ist schon viel gelaufen, wie beispielsweise das mit dem Fernseh-Beitrag.
Im MĂ€rz 2023 hatte mich eine Reporterin von der âTorgauer Zeitungâ angeschrieben. Am 5. Mai ist der offizielle Tag der Inklusion. Da bin ich in Torgau immer aktiv. Letztes Jahr habe ich den Stand fĂŒr die Sehbehinderung und Blindheit betreut und dieses Jahr eben auch. Die Torgauer Zeitung wollte quasi im Vorfeld dazu die ganzen Gesichter vorstellen, die dann am 5. Mai vor Ort sind. In dem Rahmen haben sie mich gefragt, ob wir einen Tag zusammen verbringen wollen, und sie dokumentieren das. Das Ergebnis war dann in der Zeitung zu sehen. Die âTorgauer Zeitungâ hat auch einen Onlinebeitrag veröffentlicht, ĂŒber den der MDR dann auf mich aufmerksam geworden ist. Und dann haben wir ziemlich kurzfristig einen Beitrag in Chemnitz gedreht. Ich hatte wenig Zeit das alles organisatorisch noch abzuklĂ€ren und nach Filmrechten zu fragen, weil wir ja auch im Internat gefilmt haben. Aber es hat alles geklappt und der Beitrag wurde dann bei âMDR um 4â ausgestrahlt. Jetzt bin ich eine kleine BerĂŒhmtheit. đ
Im lĂ€ndlichen Bereich muss noch viel fĂŒr Inklusion gemacht werden. Das fĂ€ngt schon beim Busfahren an. Jeder, der selbst kein Auto fĂ€hrt, ist ziemlich aufgeschmissen. Es gibt auch keine Ansagen im Bus. Ich muss dem Busfahrer sagen: âKönnten Sie mir bitte sagen, wenn die und die Haltestelle ist, da möchte ich raus.â Verstehe ich gar nicht, denn in allen anderen Bussen gibt es das ja auch. Warum ist das bei uns nicht so?
Aber es gibt schon coole Dinge, die ich nutzen kann. Zum Beispiel bietet der EDEKA, wo ich immer einkaufen gehe, eine Einkaufshilfe fĂŒr gehandicapte Menschen an. Ich melde mich und sage: âIch möchte jetzt gerne einkaufen gehen. Ist jemand vom Personal da, der Zeit hat?â Bisher hatte immer jemand Zeit fĂŒr mich, der dann schnell den Einkauf fĂŒr mich macht.
Ich wĂŒrde mir wĂŒnschen, dass gerade Inklusion schon frĂŒher gelebt wird, dass man die Leute nicht so trennt. Denn dadurch können schon so viele Barrieren abgebaut werden, so dass BerĂŒhrungsĂ€ngste und Hemmschwellen gar nicht zustande kommen. Nur so wird es NormalitĂ€t und es entstehen keine komischen Bilder in den Köpfen der Leute. Es wird immer Menschen geben, die mich trotzdem nicht mögen oder verurteilen werden, aber es wĂ€ren weniger.
Oft passiert es auch, dass man als Person mit einer Behinderung von einigen Menschen gleich als âdummâ hingestellt wird, so habe ich das GefĂŒhl. Ich hatte jetzt viele GesprĂ€che, bei denen es um mein Abschluss-Zeugnis ging. Auf dem Arbeitsamt hat man mich gefragt: âAber das ist schon ein anerkannter Schulabschluss?â Oder wenn ich sage, dass ich einen Realschulabschluss habe, dass ich gefragt werde: âWaren das dann die gleichen PrĂŒfungen?â Ja, das waren die gleichen PrĂŒfungen, die alle anderen auch gemacht haben. Das sollte nicht so sein, das finde ich echt schade.
Ich glaube aber, dass es auch darauf ankommt, wie man selbst damit umgeht. Ich will mich nicht hinter meiner Behinderung verstecken. Wenn man selbstbewusst damit umgeht, erfĂ€hrt man auch mehr positives Feedback. Die Leute sind dann irgendwie ein bisschen offener und kommen auf einen zu. Ich bin auch froh darĂŒber, wenn mir Fragen gestellt werden. Es gibt keine dummen Fragen. Leute fragen mich beispielsweise, ob sie meinen Langstock ausprobieren können. Da haben ich nichts dagegen. Bei den Inklusionstagen hatte ich meine Stöcke dabei und habe einen Parkour aufgebaut. Das wollten schon sehr viele machen, mehr als dass sie mich Dinge gefragt haben. Aber ich werde natĂŒrlich auch manchmal gefragt, was das fĂŒr ein Stock ist. âIst das ein Gehstock oder ein Wanderstock?â
Was ich mir wĂŒnschen wĂŒrde: Geht auf uns zu, ohne viel darĂŒber nachzudenken. Wir sind auch nur Menschen. Das ist auf jeden Fall so eine Message. Und generell: Seid selbstbewusst!
Hallo!
Ich bin Leonie, 19 Jahre alt.
Ich komme aus Schildau.
Momentan besuche ich das Berufs-Bildungs-Werk in Chemnitz.
Dort mache ich eine blinden-technische Ausbildung.
Diese Ausbildung bereitet mich auf meinen Alltag vor.
Und auf meine Ausbildung, die ich bald anfange.
Ich möchte auf dem freien Arbeits-Markt eine Ausbildung machen.
Ich habe auch schon einige Bewerbungen geschrieben.
Ich habe eine Augen-Krankheit.
Die Krankheit heiĂt Zapfen-StĂ€bchen-Dystrophie.
Mein Auge verliert die FĂ€higkeit, Licht und Farben zu sehen.
Ărzte haben die Krankheit festgestellt, als ich 7 war.
Dann sind meine Augen immer schlechter geworden.
Seit dem Jahr 2018 bin ich blind.
Das steht auch in meinem Schwer-Behinderten-Ausweis.
Ich sehe noch Umrisse und Farben.
Aber das hÀngt von den Licht-VerhÀltnissen ab.
Ich bin viel auf TikTok und Instagram unterwegs.
Auf TikTok tanze ich.
Mir werden stÀndig diese Tanz-Videos vorgeschlagen.
Dann sage ich zu meiner Mutter:
Kannst du mir erklÀren, wie die das machen?
Meine Mutter fasst mich an und zeigt mir die Bewegungen.
Ich finde es einfach cool.
Ich glaube, dass viele Leute ein falsches Bild von Menschen mit einer Behinderung haben.
Weil sie nichts mit ihnen zu tun haben.
Erst wenn sie jemanden kennenlernen, verstehen sie:
Menschen mit Behinderungen haben auch ein normales Leben.
Ich merke das, weil mir andere oft komische Fragen stellen.
Ich denke mir dann: HĂ€h?
Zum Beispiel werde ich gefragt, ob ich allein duschen kann.
Oder ob ich mir allein mein Essen mache.
Meine Ziele:
Ich will auf jeden Fall mit TikTok und Instagram weitermachen.
Vielleicht kann ich das weiter ausbauen.
Ich will noch mehr Leute erreichen:
Menschen mit und ohne Behinderung.
Ich will mich nicht hinter meiner Behinderung verstecken.
Wenn man selbstbewusst mit seiner Behinderung umgeht:
Dann bekommt man auch gute RĂŒckmeldungen.
Ich wĂŒnsche mir:
Geht auf uns zu, ohne viel darĂŒber nachzudenken!
Wir sind auch nur Menschen.
Und allgemein:
Seid selbstbewusst!
Das GesprÀch war am 20. Juli 2023
Der Text wurde vom Zentrum Leichte Sprache geprĂŒft (PrĂŒfzertifikat (PDF))
Leonie
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):