QuaBIS
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Es gibt viele, die mehr können, aber sie können es nicht, weil sie es nie kennengelernt haben. Sie haben nie die Möglichkeit bekommen, sich auszuprobieren und Fehler zu machen.
– Steffen Martick
Ich bin froh, dass ich hier sein darf. Hier sind alle gleichberechtigt. Es gibt kein richtig und falsch.
– Beate Schlothauer
Das ganze bewegt sich im Rahmen von inklusiver Hochschulentwicklung. Das Ziel ist ja auch, Hochschule zu verändern.
– Nico Leonhardt
Die Ausbildung dauert drei Jahre. Wenn wir die Ausbildung abgeschlossen haben, können wir selbst Seminare halten.
– Beate Schlothauer
Die Werkstatt hat den staatlichen Auftrag, behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dieser Punkt wird kaum umgesetzt. Wir sind nur eine Ausnahme. Das liegt nicht nur am System der Werkstatt, sondern auch an der Gesellschaft.
– Steffen Martick
Sebastian Wenzel: Ich mache an der Universität Leipzig eine QuaBIS-Ausbildung, das heißt, ich besuche Vorlesungen und Seminare. QuaBIS heißt „Qualifizierung von Bildungs- und Inklusionsreferent*innen in Sachsen“.
Steffen Martick: Das Projekt hat im Mai 2019 begonnen. Seitdem bin ich dabei. Mich interessiert das alles sehr.
Beate Schlothauer: Die Ausbildung dauert drei Jahre. Wenn wir die Ausbildung abgeschlossen haben, können wir selbst Seminare halten. Jeder sucht sich ein Thema aus und unterhält sich im Seminar mit den Studenten darüber. Wir haben schon ein Online-Seminar über „Teilhabe Arbeit“ gehalten. Andere Themen waren „Teilhabe und Behinderung“ oder „Macht und ihre Folgen“. Vorher habe ich beim LeiSA-Projekt („Leichte Sprache im Arbeitsleben“) geforscht. Nebenbei helfe ich den Studenten, Texte in Leichter Sprache zu verfassen.
Nico Leonhardt: Alle Ausbildungsteilnehmer sind nach Abschluss der Ausbildung Dozierende hier an der Universität. Das Ziel ist nach der Qualifizierung, Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen. Wir möchten dazu an der Universität ein Zentrum gründen, wo die bei uns Ausgebildeten angestellt werden und in drei verschiedenen Bereichen arbeiten sollen.
Tom Hoffmann: Vor der Ausbildung habe ich in einer Werkstatt gearbeitet. Aber ich wollte dort schon lange raus.
Steffen Martick: Wir alle kommen eigentlich aus einer Werkstatt. Unsere Ausbildung hier zählt als Außenarbeitsplatz der Werkstatt. Ich denke, dass das Projekt Sinn macht, dass sich die Gesellschaft für uns Behinderte öffnet. Nicht in ganz großen Schritten, sondern in kleineren Schritten. Jeder von uns hat seinen eigenen Zugang zu den Dingen, sieht sie auf seine Weise. Es gibt viele, die mehr können, aber sie können es nicht, weil sie es nie kennengelernt haben. Sie haben nie die Möglichkeit bekommen, sich auszuprobieren und Fehler zu machen.
Die Werkstatt hat den staatlichen Auftrag, behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dieser Punkt wird kaum umgesetzt. Wir sind nur eine Ausnahme. Das liegt nicht nur am System der Werkstatt, sondern auch an der Gesellschaft.
Nico Leonhardt: Das Projekt bewegt sich im Rahmen von inklusiver Hochschulentwicklung. Das Ziel ist, Hochschule zu verändern. Bisher ist Universität ein recht exklusiver und elitärer Raum für wenige Personen. Wir versuchen den Zugang für Personen zu ermöglichen, die vorher überhaupt keinen Zugang zum System Hochschule hatten.
Beate Schlothauer: Ich bin froh, dass ich hier sein darf. Hier sind alle gleichberechtigt.
Interview geführt am: 29. September 2020
Ich bin Sebastian Wenzel. Ich bin 34 Jahre alt und schon seit anderthalb Jahren hier bei QuaBIS. QuaBIS heißt „Qualifizierung von Bildungs- und Inklusionsreferent*innen in Sachsen“. Ich finde das Projekt QuaBIS gut. Vorher war ich bei einem anderen Projekt. Das nannte man „Gemeinsam Forschen“. Daraus ist das Leipziger Projekt QuaBIS entstanden Ich mache hier an der Universität Leipzig eine QuaBIS-Ausbildung, das heißt, ich besuche Vorlesungen und Seminare.
Ich bin Steffen Martick. Das Projekt hat im Mai 2019 begonnen. Seitdem bin ich dabei. Mich interessiert das alles sehr.
Ich bin Frau Schlothauer. Ich arbeite seit dem 02. Mai 2019 in diesem Projekt. Ich bin auch schon bekannt in der Uni, da ich vorher hier beim LeiSA-Projekt geforscht habe. LeiSA steht für „Leichte Sprache im Arbeitsleben“. Nebenbei helfe ich den Studenten, Texte in Leichter Sprache zu verfassen. Ich besuche auch selbst Seminare und bin schon viel gereist, um unser Projekt zusammen mit meinem Kollegen Nico Leonhardt z.B. in Linz oder in Bonn vorzustellen. Ich bin auch Prüferin für Leichte Sprache in einem Verein.
Ich bin Tom Hoffmann und auch von Anfang an in QuaBIS.
Ich bin Nico Leonhardt. Ich bin auch von Anfang an dabei. Das Projekt ist im August 2018 mit einer Vorlaufphase gestartet. Es konnten sich ganz viele Menschen für das Projekt bewerben. Wir haben versucht, das Projekt soweit wie möglich bekanntzumachen. Es war nicht immer einfach, Werkstätten von dem Projekt zu überzeugen, damit die Informationen überhaupt weitergegeben wurden. Glücklicherweise haben wir Werkstätten gefunden, die ganz gern mit uns zusammenarbeiten wollten. In dieser Zeit haben wir die Qualifizierung auch inhaltlich entwickelt. Wir haben ein Modulhandbuch erstellt mit Themen, die ganz stark an die Lehramtsausbildung angeknüpft sind. Die Qualifizierung startete im Mai 2019. Meine Aufgabe ist es zusammen mit Frau Goldbach die Qualifizierung und alles, was zum Projekt gehört, zu koordinieren. Zusammen mit anderen Kolleg*innen und Assistenzen werden Themen aufbereitet und diskutiert, sodass sie in der Qualifizierung bearbeitet werden können. Geleitet wird das Projekt von Frau Schuppener.
Beate Schlothauer: Als Themen haben wir z.B. „Teilhabe und Behinderung“ oder „Macht und ihre Folgen“ gehabt. Wir selbst werden ein Seminar zum Thema „Macht in der Schule“ machen.
Die Ausbildung dauert drei Jahre. Wenn wir die Ausbildung abgeschlossen haben, können wir selbst Seminare halten. Jeder sucht sich ein Thema aus und unterhält sich im Seminar mit den Studenten darüber. So wie wir es auch schon in der Ausbildung gemacht haben. Wir haben schon ein Online-Seminar über „Teilhabe Arbeit“ gehalten.
Nico Leonhardt: Alle Ausbildungsteilnehmer sind nach Abschluss der Ausbildung Dozierende hier an der Universität. Das Ziel ist nach der Qualifizierung, Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen. Wir möchten dazu an der Universität ein Zentrum gründen, wo die bei uns Ausgebildeten angestellt werden und in drei verschiedenen Bereichen arbeiten sollen.
Zum einen betrifft das die Lehre an der Universität, also die Gestaltung von Seminaren und Vorlesungen für die Lehramtsausbildung, aber auch darüber hinaus. Eine Kollegin hat bereits Seminare an der Medizinischen Fakultät mitgestaltet. Auch mit anderen Hochschulen und Fakultäten würden wir gern stärker ins Gespräch kommen. Frau Schlothauer hat z.B. sehr intensiv im Bereich „Leichte Sprache“ gearbeitet. Das ist natürlich eine Expertise, die wir unterstützen und stark mit einbringen. Herr Martick hat eine größere Expertise im Bereich „Beruflicher Übergang“, weil er selbst auch als Werkstattrat tätig war und viel Erfahrung sammeln konnte. Herr Hoffmann ist ein Inklusionsexperte und kennt sich gut im Bereich „Macht“ aus. Das sind unterschiedliche Themen, die wir versuchen in die Lehre, aber auch außerhalb der Universität einzubringen. Uns ist es wichtig, diese Themen im Sinne eines Transfers nach außen zu tragen. Wir geben auf Anfrage Workshops und arbeiten mit Vereinen in verschiedensten Kooperationen zusammen. Das beschreibt den zweiten Bereich unserer Arbeit.
Der dritte Bereich umfasst die Forschung. Dabei geht es um partizipative Forschungsprojekte, die wir mitgestalten, ausgestalten und beantragen.
Beate Schlothauer: Es kommen auch Kollegen zu uns, die fragen, ob wir Lust haben, mit ihnen ein Seminar zu führen. Das haben wir auch schon gehabt.
Tom Hoffmann: Vor der Ausbildung habe ich in einer Werkstatt gearbeitet. Aber ich wollte dort schon lange raus.
Steffen Martick: Wir alle kommen eigentlich aus einer Werkstatt. Unsere Ausbildung hier zählt als Außenarbeitsplatz der Werkstatt. In der Werkstatt selbst war ich auch als Werkstattrat tätig. Der Werkstattrat ist eine Interessensvertretung der Mitarbeiter innerhalb der Werkstatt. Er ist dafür gedacht, dass die behinderten Menschen dort auch eine Stimme haben und dass sie auch innerhalb der Werkstätten mitreden können. Wir haben hier an der Uni momentan einen Praktikumsvertrag, da es so etwas bisher an der Uni noch nicht gab. Wir werden von der Werkstatt bezahlt und sind auch über sie versichert, unsere Arbeit machen wir aber an der Uni.
Nico Leonhardt: Das Projekt bewegt sich im Rahmen von inklusiver Hochschulentwicklung. Das Ziel ist, Hochschule zu verändern. Dabei gibt es immer wieder verschiedene Hürden. Bisher ist Universität ein recht exklusiver und elitärer Raum für wenige Personen. Wir versuchen den Zugang für Personen zu ermöglichen, die vorher überhaupt keinen Zugang zum System Hochschule hatten. Wir wollen Teilhabe schaffen. Das ist auch mit solchen Herausforderungen verbunden, welchen Status bekommt man an der Universität, wenn man hier eine Qualifizierung ohne ein Abitur macht oder generell keinen Abschluss hat. Das ist uns bisher ganz gut gelungen, und wir haben eine recht offene Haltung von der Universitätsverwaltung erlebt. Es wird aber noch mehr Herausforderungen geben, da das Projekt auf noch mehr Veränderungen abzielt, z.B. auch in der Lehre. Wie kann Lehre so gestaltet werden, dass sie möglichst barrierearm ist, und dass sie möglichst viele Personen erreicht? Das bedarf vieler kreativer Formen, z.B. auch weniger frontaler Formen.
Beate Schlothauer: In der Hochschule werden viele Fachwörter verwendet. Es gibt viele, für die das schwer zu verstehen ist und denen Leichte Sprache hilft. Ich habe einer Studentin geholfen, bei der das so war. Sie musste in Seminaren sehr oft nachfragen: „Könntest Du mir das nochmal erklären?“ Deshalb bin ich so froh, dass wir ein so gutes Team haben, das uns alles erklärt. Alle geben sich wirklich Mühe, uns alles in einfacher Sprache zu erklären.
Nico Leonhardt: Das ist auch die Rückmeldung von Seminaren, die wir ausgewertet haben. Es wird als positiv wahrgenommen, dass mal jemand nachgefragt hat, was man sich selbst nicht getraut hat. Auf der anderen Seite fordert es natürlich auch die Dozierenden heraus, Dinge so zu erklären, dass es möglichst viele verstehen. Gerade, wenn man es eigentlich gewohnt ist, sich hinter der schweren Sprache zu verstecken. Das ist an einer Universität manchmal durchaus der Fall.
Sebastian Wenzel: Mir macht das Spaß hier zu arbeiten. Ich habe das auch noch nie gemacht. Ich wollte mal etwas Neues ausprobieren. Ich kam durch den LSR-Kurs „Lesen, Schreiben, Rechnen“ auf die Idee, mich hier zu bewerben und hier zu arbeiten. Wir haben keinen festen Stundenplan. Wir kommen so zwischen 8:30 und 9:00 Uhr an. Dann besprechen wir manchmal drei Stunden lang Themen bis zur Mittagspause. Dann gehen wir gemeinsam in die Mensa.
Beate Schlothauer: Wir haben unterschiedliche Stundenpläne. Wegen der Corona-Pandemie dürfen nicht immer alle kommen. Da sind immer nur drei Leute da. Montags müssen aber immer alle kommen, da wir montags immer forschen. Letzten Montag hat z.B. jeder ein einzelnes Puzzleteil bekommen, z.B. „Geschichte des Forschens“ oder „Regeln des Forschens“. Dazu bekam jeder einen Text, den man bearbeiten sollte. Teilweise machen wir das auch zu Hause und es wird dann nächste Woche vorgestellt.
Nico Leonhardt: Teilweise waren alle im Homeoffice. Das war nicht immer ganz einfach. Das ist uns dann aber doch ganz gut gelungen. Dann haben wir gesagt: „Wir müssen aber wieder Stück für Stück in die Präsenz gehen, weil das auch wichtig ist.“
Wir treffen uns früh und besprechen den Tag und auch die Inhalte. Das kann, wie Herr Wenzel schon gesagt hat, auch unterschiedlich lang dauern. Dann wird oft sehr individuell gearbeitet. Jeder arbeitet an unterschiedlichen Themen, da jeder einen anderen Zugang zu den Inhalten hat. Oder jeder übernimmt ein anderes Unterthema, wie wir es bei “Macht und Schule“ auch gemacht haben. Da arbeiten wir sehr individualisiert mit einer Art Wochenplan.
Beate Schlothauer: Wir bereiten zu diesem Thema auch schon die Seminare vor.
Nico Leonhardt: Die Studierenden schreiben sich dafür zu Semesterbeginn ein. Ich glaube es sind zurzeit um die 30 Studierende.
Beate Schlothauer: Jeder von uns spricht sein Teilthema ein. Das wird dann online eingestellt.
Sebastian Wenzel: Wir haben jetzt schon das dritte Semester.
Beate Schlothauer: Die Rückmeldungen zu unserem letzten Online-Seminar waren alle gut. Ich selbst habe auch schon Seminare mit einem Kollegen geführt. Eine Dozentin, Sebastian Wenzel und ich haben in einer Vorlesung darüber gesprochen, über was wir geforscht haben. Das ist alles gut angekommen.
Nico Leonhardt: Wir haben unsere Arbeit auch schon richtig evaluiert. Die überwiegende Ansicht war, dass das ein Mehrwert für die Seminare und Lehre bringt. Die inklusive Hochschulentwicklung wird als etwas sehr Positives wahrgenommen, auch für die eigene Studienerfahrung. Vor dem Projekt hatten wir Studierende gefragt, was sie sich von dem Projekt wünschen. Die einhellige Meinung war, dass es positiv sein kann, Lehre nicht mehr ganz so frontal und nicht mehr so abgeschottet stattfinden zu lassen. Die Studierenden sehen für sich selbst einen Mehrwert darin, dass kreativere Formen zum Einsatz kommen und kooperative Methoden viel mehr eine Rolle spielen.
Das Team von „QuaBIS“ hat bisher einzelne Veranstaltungen bzw. Seminaranteile übernommen. Im jetzigen Semester ist es erstmalig so, dass das Seminar über ein ganzes Semester im Bereich Bildungswissenschaften gehalten wird. Die Studierenden sind Lehramtsstudierende aus allen Schularten.
Sebastian Wenzel: Was auch ganz schön ist, dass wir ein Buddy-System haben. Das sind Studierende, die uns begleiten. Z.B. gehen wir abends mit den Buddys essen. Das macht viel Freude mit den Studenten gemeinsam den Abend zu gestalten. Das Buddy-Ding wird angeführt vom Tom Hoffmann.
Nico Leonhardt: Wir hatten das gerade für die Orientierungsphase am Anfang als Unterstützung geplant, da das hier natürlich eine ganz andere Arbeitsumgebung als bisher in der Werkstatt ist. Manche kannten schon Leute hier. Tom Hoffmann ist besser vernetzt auf dem Campus als jeder von uns. Wir sind hier mitten im Institut und haben hier alle unsere Büroräume. Es ist einfach wunderbar, wie schnell alle mit den Studierenden und den Dozierenden in Kontakt kommen und wirklich auch Teil des Teams sind. Das ist tatsächlich ein großer Vorteil.
Beate Schlothauer: Ich bin auch froh, dass wir hier an der Uni nicht so abgestempelt werden: Ach, ihr seid behindert. Wir werden hier wie normale Menschen behandelt.
Tom Hoffmann: Seitdem ich an der Uni bin habe ich viel dazu gelernt und möchte mein Wissen und meine Erfahrungen mit euch teilen. weshalb ich an einem Buch schreibe, welches ich einmal herausbringen möchte.
Beate Schlothauer: Ich bin froh, dass ich hier sein darf. Hier sind alle gleichberechtigt. Es gibt kein richtig und falsch. Früher habe ich immer gedacht, dass ich alles falsch mache. Ich habe mich hier sehr entwickelt. Ich bin hier selbstbewusster geworden und sage noch mehr meine Meinung. Vorher musste ich immer alles runterschlucken und konnte nichts sagen. Jetzt sage ich oft, was mir nicht gefällt. Ich bin froh, dass die Kollegen uns nehmen, wie wir sind. Ich war ja schon vorher an der Uni. Aber es ist ein anderes Gefühl, dass wir jetzt Kollegen sind.
Sebastian Wenzel: Das ist wirklich Inklusion. Inklusion beginnt im Kopf. Und dann ist es ganz wichtig, dass man das nach außen trägt. Die inneren Werte müssen zum Vorschein kommen können.
Steffen Martick: Die Arbeit an der Uni ist doch eine andere als in der Werkstatt. Die Werkstatt ist ein geschlossenes System, wo man, ich will nicht sagen beaufsichtigt wird, aber doch betreut wird. In der Werkstatt ist es schwierig, seine Persönlichkeit weiterzuentwickeln, da dort sehr viele Leute mit sehr vielen Problemen zusammenkommen. Das konzentriert sich dort ein bisschen. Man muss sich da immer etwas nach den Schwächeren richten. Für die, die fitter sind, ist das auf Dauer schwierig. Die gehen in den Werkstätten ein.
Ich denke, dass das Projekt Sinn macht, damit sich die Gesellschaft für uns Behinderte öffnet. Nicht in ganz großen Schritten, sondern in kleineren Schritten. Jeder von uns hat seinen eigenen Zugang zu den Dingen, sieht sie auf seine Weise. Das ist ganz wichtig. Manche Dinge versteht z.B. Herr Wenzel anders als ich. Und das ist auch gut. Es ist manchmal sinnvoller, sich darauf einzulassen alles aus dem Blickwinkel des Anderen zu beobachten und einfach mitzumachen. Das ist interessant. In der Werkstatt geht das ein bisschen unter. Das liegt nicht direkt an den Leuten. Das liegt mehr am System der Werkstatt. Aber man muss sich auch weiterentwickeln. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Da muss sich auch die Werkstatt dementsprechend anpassen. Das ist schwierig, da die Werkstatt feste Strukturen hat. Es ist schwierig aus diesen Strukturen rauszukommen, wenn man einmal da drin ist. Wir haben das große Glück gehabt, dass wir das Angebot von der Uni genutzt haben. Für mich ist wichtig, dass die anderen Leute auch die Chance haben, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln und freie Entscheidungen treffen zu können. In den Werkstätten schlummert so ein großes Potenzial an Wissen und an Arbeitskraft, was eigentlich nicht gerecht genutzt wird. Es wird genutzt, aber die Leute, die da drin arbeiten, werden nicht gerecht bezahlt. Wir haben keinen Arbeitsvertrag. Wir haben einen arbeitnehmerähnlichen Vertrag. Das ist ein kleiner begrifflicher Unterschied, hat aber große Auswirkungen auf unser weiteres Leben. Wir haben kein Anspruch auf Lohn. Das System der Werkstatt ist so angelegt, dass man dort als behinderter Mensch seine Rente erarbeiten kann. Es gibt gute Seiten an der Werkstatt und es gibt schlechtere Seiten an der Werkstatt. Man muss immer beiden Seiten betrachten, finde ich.
Es gibt viele, die mehr können, aber sie können es nicht, weil sie es nie kennengelernt haben. Sie haben nie die Möglichkeit bekommen, sich auszuprobieren und Fehler zu machen.
Die Werkstatt hat den staatlichen Auftrag, behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dieser Punkt wird kaum umgesetzt. Wir sind nur eine Ausnahme. Das liegt nicht nur am System der Werkstatt, sondern auch an der Gesellschaft. Da spielen viele Punkte mit rein. Die Gesellschaft ist nicht bereit, Menschen mit Behinderung einzustellen, weil sie so leistungsorientiert ist.
Nico Leonhardt: Was Steffen Martick richtig gesagt hat, ist, dass die exklusiven Strukturen wie Sonderschule, Wohnheime, aber auch Werkstätten schon die große Gefahr in sich bergen so eine erlernte Hilflosigkeit stärker zu fördern. Was sich jemand aufgrund von irgendwelchen Stempeln und Diagnosen zutraut, ist meist weniger als er wirklich könnte. Wir haben am Lehrstuhl eine lange Tradition, was partizipative Forschung anbelangt. Es gibt beispielsweise ein Projekt mit Kindern und Jugendlichen mit selbstverletzenden Verhalten, wo freiheitseinschränkende Maßnahmen auch eine große Rolle spielen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jeder viel mehr zu einer geistigen Arbeit beitragen kann, die in einer Werkstatt nicht so vordergründig ist, weil es mehr praktische Tätigkeiten sind. Da spielt Unterforderung eine große Rolle. Das ist auch unsere Erfahrung im Bewerbungsverfahren. Die Motivation von fast allen war eigentlich eine spürbare Unterforderung, sodass sie sagen: „Ich will aus der Werkstatt raus. Es ist nicht das, was mich voranbringt.“ Da gibt es noch viel zu wenig Angebote in diesem Bereich. Wir sind ja nur ein kleines Angebot mit sechs Leuten hier in Leipzig und sechs Leuten in Dresden.
Es waren recht viele Bewerbungen. Es hätten aber noch viel mehr sein können. In dem Bereich ist es oftmals so, dass man Wohnheimleiter und Werkstattleiter davon überzeugen muss, die Informationen weiterzugeben. Von diesen Seiten haben wir schon merkliche Gegenwehr erfahren müssen. Insbesondere Werkstätten waren dabei, die von vornherein gesagt haben: „Das kann bei uns niemand. Das trauen wir unseren Leuten nicht zu.“ Wir haben gemerkt, dass die potentiellen Bewerber gar nicht gefragt wurden, ob sie überhaupt Interesse daran hätten. Hoffentlich können wir aber durch das laufende Projekt zeigen, dass es eben doch geht. Hoffentlich können wir die großen Skeptiker erreichen, die dann vielleicht mehr Potential in den Personen, die in der Werkstatt arbeiten, sehen. Das wäre eine Hoffnung von mir.
Steffen Martick: Es gibt natürlich auch unterschiedliche Personen in den Werkstätten. Ich habe beobachtet, dass Personen, die wirklich etwas verändern wollen, dort am System scheitern. Sie fügen sich dann dem System, weil sie sonst selbst kaputtgehen. Ich rede da gerade von den Gruppenleitern. Manche Gruppenleiter wollen Veränderungen, scheitern dann aber an der Struktur der Werkstatt. Sie fragen sich dann: Wieso stecke ich da Energie rein, wenn sich die Struktur nur sehr schwer oder gar nicht verändern lässt.
Nico Leonhardt: Nicht umsonst ist das Thema „Macht“ bei uns in der Qualifizierung ein so großes und wichtiges geworden, da wir auf verschiedenen Ebenen auf solche spannenden Diskussionen zurückkommen. Das betrifft auch die Behindertenhilfe. Es gibt Machtstrukturen, die dem System innewohnen und die dabei eine große Rolle spielen. Deshalb bearbeiten wir das Thema sehr umfangreich und wollen das erste längere Seminar diesem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven widmen.
Beate Schlothauer: „Macht“ ist wirklich ein Thema, das jedem sehr nahe geht. Jeder hat selbst damit seine eigenen Erfahrungen gemacht. Die meisten haben schlechte Erfahrungen gemacht.
Jeder, der es in der neuen Arbeitsumgebung Uni nicht schafft, hätte wieder zurück in die Werkstatt gehen können. Als Wörter wie Inklusion und Exklusion an meinen Kopf geworfen worden, mit denen ich vorher nichts zu tun gehabt hatte, da war das für mich überfordernd. Ich wollte es hinschmeißen. Ich habe angefangen zu weinen und habe gesagt: „Ich gehe jetzt!“ Das kannte man alles vorher nicht. Aber sie haben sich dann Zeit genommen und mir alles erklärt. Sie gehen auf jeden ein.
Beate Schlothauer: Wir wollen alle nicht zurück. Das haben wir alles schon festgestellt.
Steffen Martick: Ich würde mich freuen, wenn von verschiedenen Seiten an unserem Projekt Interesse bekundet würde. Ich würde mich freuen, wenn wir unser Wissen weitergeben könnten, so dass sich die Gesellschaft eventuell verändert. Das wäre mein Wunsch.
Mehr zum Projekt QuaBIS: http://www.quabis.info/
Interview veröffentlicht am: 21.März 2021
Hallo!
Wir sind Studierende im Projekt QuaBIS an der Universität Leipzig.
Wir, das sind:
- Sebastian Wenzel
- Steffen Martick
- Beate Schlothauer
- Nico Leonhardt
- Tom Hoffmann
Sebastian Wenzel:
Ich mache an der Universität Leipzig eine QuaBIS-Ausbildung.
QuaBIS ist die Abkürzung für:
Qualifizierung von Bildungs- und Inklusions-Referent*innen in Sachsen.
Steffen Martick:
Das Projekt QuaBIS gibt es seit Mai 2019.
Seitdem bin ich dabei.
Mich interessiert das alles sehr.
Beate Schlothauer:
Die QuaBIS-Ausbildung dauert 3 Jahre.
Menschen mit Lern-Behinderung können die Ausbildung machen.
Wenn wir die Ausbildung abgeschlossen haben:
Dann können wir selbst Kurse geben.
Jeder sucht sich ein Thema aus.
Wir haben schon einen Kurs über Teilhabe Arbeit gehalten.
Andere Themen waren Teilhabe und Behinderung.
Oder Macht und ihre Folgen.
Vor der Ausbildung habe ich schon bei einem anderen Projekt mitgemacht:
Beim LeiSA-Projekt.
LeiSA ist die Abkürzung für Leichte Sprache im Arbeits-Leben.
Ich helfe auch Student*innen beim Schreiben von Texten in Leichter Sprache.
Nico Leonhardt:
Alle Teilnehmer*innen an der Ausbildung unterrichten nach ihrem Abschluss hier an der Universität.
Das Ziel ist:
Arbeits-Plätze auf dem allgemeinen Arbeits-Markt schaffen.
Wir möchten dazu an der Universität ein Zentrum gründen.
Wir stellen am Zentrum Ausgebildete ein.
Sie sollen in 3 verschiedenen Bereichen im Zentrum arbeiten.
Tom Hoffmann:
Vor der Ausbildung habe ich in einer Werkstatt gearbeitet.
Aber ich wollte dort schon lange raus.
Steffen Martick:
Wir kommen eigentlich alle aus einer Werkstatt.
Unsere Ausbildung hier zählt als Außen-Arbeits-Platz der Werkstatt.
Ich finde dieses Projekt hier gut.
So öffnet sich die Gesellschaft für uns Behinderte.
Zumindest in kleinen Schritten.
Es gibt viele Menschen mit Behinderung, die mehr können.
Aber sie haben keine Möglichkeit bekommen.
So dass sie mal was ausprobieren konnten.
Und auch Fehler machen durften.
Die Werkstatt soll eigentlich Menschen mit Behinderung auf den 1. Arbeits-Markt vermitteln.
Aber das passiert nur selten.
Wir sind eine Ausnahme.
Das liegt leider auch an der Gesellschaft.
Nico Leonhardt:
Universitäten sollen inklusiver werden.
Deshalb gibt es das Projekt QuaBIS.
Das Ziel ist:
Universitäten sollen sich verändern.
Bisher besuchen nur ausgewählte Personen eine Universität.
Wir möchten:
Auch wenn eine Person noch überhaupt nichts mit Universitäten zu tun hatte:
Dann soll sie hier die Möglichkeit bekommen.
Beate Schlothauer:
Ich bin froh, dass ich hier sein darf.
Hier sind alle gleich-berechtigt.
Das Gespräch war am 29. September 2020.
QuaBIS
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
QuaBIS
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: