Sindy Christoph
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Die Grammatik der Gebärdensprache ist eine ganz andere, als die der gesprochenen Sprache. Deshalb reichen Texte in deutscher Sprache nicht aus, um für alle gehörlosen Menschen nutzbar zu sein.
Ärzte sind immer noch sehr fixiert auf den Höransatz, anstatt auf den Sprachansatz. Sprache muss nicht immer etwas mit Hören zu tun haben.
Ich sehe das so: Viele gehörlose Menschen, aber auch andere Menschen mit Einschränkungen, haben in ihrem Leben zu wenig Chancen bekommen. Sie könnten viel mehr.
Ich bin Gebärdendolmetscherin. Ich habe in Zwickau das Gebärdensprachdolmetscher-Studium absolviert. 2010 haben wir das Netzwerk für Gebärdensprachdienstleistungen „vigevo“ gegründet und später den Geschäftszweig „Scouts - Gebärdensprache für Alle“.
Viele gehörlose Menschen, aber auch andere Menschen mit Einschränkungen, haben in ihrem Leben zu wenig Chancen bekommen. Sie könnten viel mehr. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Chancen schon frühzeitig erkannt werden. Wir bieten zum Beispiel Frühförderung für gehörlose Kinder und Gebärdensprachkurse für die zumeist hörenden Eltern an. Aktuell ist es so, dass man oft viel zu spät zu uns Kontakt aufnimmt. Gerade Kinder in der Vorschulzeit werden an uns verwiesen, weil erst dann festgestellt wird, dass es Probleme in der Interaktion und Kommunikation gibt. Dort müsste viel früher mit der Gebärdensprache begonnen werden. Es gibt Eltern, die sich sehr früh für ein Cochlea-Implantat entscheiden. Darüber möchte ich nicht urteilen, dazu gibt es viele kontroverse Diskussionen. Aber für mich ist es wichtig, den parallelen Ansatz zu wählen und die Gebärdensprache ebenfalls zu lernen, denn das ist die Basis-Sprache für Menschen mit hochgradigem Hörverlust. Auch die Eltern sollten Gebärdensprache erlernen, denn nur dann haben die Kinder echte Chancen.
Ärzte sind immer noch sehr fixiert auf den Höransatz anstatt auf den Sprachansatz. Aber Sprache muss nicht immer etwas mit Hören zu tun haben. Die wenigsten Mediziner sagen: Kümmern sie sich doch parallel auch noch um die Gebärdensprache, das hilft ihrem Kind.
Die Grammatik der Gebärdensprache ist eine ganz andere als die der gesprochenen Sprache. Deshalb reichen Texte in deutscher Sprache nicht aus, um für alle gehörlosen Menschen nutzbar zu sein. Zudem kommt es natürlich auch auf die Schulbildung und Sozialisation der gehörlosen Person an. Haben sie einen sehr guten Wortschatz, dann funktioniert das ganz gut. Diese Menschen können dann meistens auch ganz gut von den Lippen ablesen. Viele denken, dass von den Lippen ablesen gar kein Problem ist. Man kann jedoch nur 30 Prozent von den Lippen ablesen und zudem setzt es eine gute Deutschkompetenz des ‚Lesenden‘ voraus.
Interview geführt am: 16. Juli 2020
Mein Name ist Sindy Christoph. Ich bin in der Oberlausitz geboren und aufgewachsen. Ich wohne auch immer noch dort am gleichen Ort, in derselben Straße. Ich habe ein ganz stabiles, sicheres Umfeld. Mein Berufsleben unterscheidet sich aber vollkommen von meinem Privatleben. Es ist sehr vielfältig und ich lerne viele Leute kennen. Ich bin sehr viel hier in Dresden, aber auch in anderen Städten unterwegs. Beruflich ist also sehr viel los.
Nach dem Abitur habe ich überlegt, was ich machen möchte. Wir hatten damals in der weitläufigen Verwandtschaft ein gehörloses Pärchen. Um dieses Pärchen haben sich meine Eltern gekümmert. Das war sozusagen der Zugang zur Gebärdensprache. Im Fernsehen kam damals eine Reportage über Gebärdensprachdolmetscher. Mein Vater hat mir zugetraut, dass ich so etwas könnte. Eigentlich wollte ich immer Lehrerin werden. Deshalb habe ich mich in Dresden an der TU als Berufsschullehrerin für Deutsch, Sport und evangelische Religion beworben. Parallel dazu habe ich mich dann aber auch in Zwickau zum Gebärdensprachdolmetscher-Studium beworben. Und dann hatte ich die Qual der Wahl. Ich entschied mich, nach Zwickau zu gehen, weil ich dachte, Gebärdensprache – das macht nicht jeder. Ich wusste eigentlich am Anfang gar nicht, auf was ich mich eingelassen hatte. Dass man nach dem Studium meistens selbstständig ist, war mir zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst.
Nach meinem Studium bin ich dann wieder nach Hause in die Oberlausitz gegangen. Die Auftragslage war zu dem Zeitpunkt sehr schlecht. 2003 gab es wirklich wenige Einsätze für Gebärdensprachdolmetscher*innen. In dieser Zeit hat mich meine ehemalige Praxisanleiterin angerufen und gefragt, ob ich einer Medizinstudentin dolmetschen würde. Das bedeutet, die Seminare und Vorlesungen im Studium zu dolmetschen. Und so bin ich nach Freiburg gegangen. Dort hatte ich eine kurze Testphase. Ich wollte es erst ausprobieren, denn ich hatte gerade erst als Dolmetscherin angefangen und ein Medizinstudium bedeutete sehr viele Fachbegriffe. Es musste ja vor allem auch für die gehörlose Studentin in Ordnung sein. Sie wollte immerhin ein Studium erfolgreich absolvieren. Ich bin dann in Freiburg geblieben und es hat gut funktioniert. Das Gute war, dass wir immer in Doppelbesetzung gearbeitet haben, wenn Veranstaltungen oder Termine mindestens eine Stunde dauerten. Deshalb hatte ich bei jedem Einsatz eine Kollegin an der Seite, die schon über zehn Jahre im Geschäft war. Und das hat mich sehr geprägt. Ich habe sehr viel gelernt. Mittlerweile bin ich selbst Mentorin und biete jungen Berufseinsteiger*innen die Möglichkeit, sich in einem recht geschützten Rahmen auszuprobieren. Normalerweise müssen sich Dolmetscher*innen nach ihrem Studium auf dem freien Markt bewähren. Ich hatte das Glück, dass ich mich darauf eingelassen habe, die Studentin zu begleiten. Täglich mit erfahrenen Kolleginnen zu arbeiten, das muss man auch wollen, denn es war klar, dass ich wahrscheinlich am Anfang jeden Tag auseinandergenommen und kritisiert werde. Das war definitiv gut für meine Entwicklung. Die Zeit mit der Studentin war sehr intensiv, denn wir haben uns zusammengesetzt und Gebärden entwickelt, vor allem für Fremdwörter. Denn so viele medizinische Fachbegriffe gibt es in der Gebärdensprache nicht. Einfach weil es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viele Personen gab, die das Bedürfnis hatten, medizinische Fachbegriffe zu gebärden. Es ist eine Strategie, gemeinsam mit der betroffenen Person, interne Gebärden für bestimmte Begriffe zu entwickeln. Man kann zum Beispiel das Wort buchstabieren, dazu nutzt man das sogenannte Daktyl-Alphabet (Fingeralphabet). Man kann aber auch andere Formate nutzen. Wenn man weiß, was es ist, kann man es auch umschreiben. Aber im Fall der Studentin musste ich natürlich konkret sein.
In meiner Funktion als Dolmetscherin für die Studentin war ich freiberuflich tätig und wurde vom Sozialamt bezahlt. Das habe ich ein paar Jahre gemacht – bis zu meiner Schwangerschaft. Das war der Grund, wieder in meine Heimat zurückzukehren. So richtig lief das dann hier aber mit dem Dolmetschen nicht an. Das Thema Inklusion war noch nicht so präsent wie jetzt, und die Emanzipation der Gehörlosen war noch nicht so fortgeschritten. Aber ich wollte schon gern hier in Sachsen bleiben. Und so bin ich wieder zur Pädagogik gekommen. So schließt sich der Kreis, denn ich habe noch einen Abschluss als Berufspädagogin gemacht.
Momentan übe ich beide Berufe aus und das erfüllt mich unwahrscheinlich. Es macht mich glücklich, dass ich meine Sprachkenntnisse und Fähigkeiten mit der Pädagogik verbinden kann. Ich bin nicht nur in der Erwachsenenpädagogik tätig, sondern begleite auch Kinder in ihrer Entwicklung.
2010 haben wir das Netzwerk für Gebärdensprachdienstleistungen „vigevo“ gegründet. Mittlerweile sind wir sieben freiberufliche Dolmetscher*innen, wobei wir aber mit Dolmetscher*innen aus ganz Sachsen und über die Landesgrenzen hinaus zusammenarbeiten. Wir haben uns damals gegründet, weil wir gemerkt haben, dass es kulturelle Angebote für Menschen, die Gebärdensprache benötigen, gibt, diese aber sehr schwer zu finden waren. Deshalb haben wir die Entwicklung einer Homepage beauftragt, wo diese ganzen Angebote sichtbar sind. Wir wollten damit verschiedene Zielgruppen erreichen, nicht nur Menschen, die gehörlos sind.
2012 habe ich dann noch einen Geschäftszweig eröffnet, der nannte sich „Scouts – Die Kompetenzentwickler“. Da ging es um Erwachsenenbildung und um Team-Trainings für Unternehmen. Am Anfang war das ohne den Fokus auf Gebärdensprache. Lediglich Kollegenseminare für bilinguale Teams hatten Berührungspunkte zur Gebärdensprache. Sogenannte Kollegenseminare sind Schulungsangebote für Unternehmen, wo gehörlose Menschen und hörende Menschen zusammenarbeiten. Das funktioniert nicht immer reibungsfrei. Dort habe ich Mitarbeiter*innen geschult und Teamtrainings angeboten, sodass die Kolleg*innen besser miteinander interagieren können. Diese Dienstleistung bieten wir bis heute an. Nach einer ganzen Zeit haben wir im Netzwerk festgestellt, dass wir gehörlose Dozent*innen brauchen, da der Bedarf an Gebärdensprachkursen nachgefragt wurde. Wir benötigen Gehörlose, denn dass nur wir als Hörende über Gehörlose sprechen, ist einfach vermessen. Ich finde, gemeinsam kann man hier viel mehr erreichen, wenn man beide Perspektiven kombiniert. Anfang 2016 habe ich zwei gehörlose Personen eingestellt. Und so war der Geschäftszweig „Scouts – Gebärdensprache für Alle“ geboren. Uns gibt es nun schon fast fünf Jahre. Mittlerweile sind bei Scouts neun Mitarbeiter*innen tätig, Tendenz steigend. Wir sind aktuell vier gehörlose und fünf hörende Mitarbeiter*innen.
Ich sehe das so: Viele gehörlose Menschen, aber auch andere Menschen mit Einschränkungen, haben in ihrem Leben zu wenig Chancen bekommen. Sie könnten viel mehr. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Chancen schon frühzeitig erkannt werden. Wir bieten zum Beispiel Frühförderung für gehörlose Kinder und Gebärdensprachkurse für die zumeist hörenden Eltern an. Aktuell ist es so, dass man oft viel zu spät zu uns Kontakt aufnimmt. Die betroffenen Kinder sind meist schon vier Jahre alt oder älter. Gerade Kinder in der Vorschulzeit werden an uns verwiesen, weil erst dann festgestellt wird, dass es Probleme in der Interaktion und Kommunikation gibt. Dort müsste viel früher mit der Gebärdensprache begonnen werden. Es gibt Eltern, die sich sehr früh für ein Cochlea-Implantat entscheiden. Darüber möchte ich nicht urteilen, dazu gibt es viele kontroverse Diskussionen. Aber für mich ist es wichtig, den parallelen Ansatz zu wählen und die Gebärdensprache ebenfalls zu lernen, denn das ist die Basis-Sprache für Menschen mit hochgradigem Hörverlust. Man weiß nicht, ob das CI funktioniert oder nicht. Aus diesem Grund ist es erforderlich, ganz früh mit der Gebärdensprache zu beginnen. Es ist kein Nachteil, vor allem in den jungen Jahren parallel mehrere Sprachen zu lernen. Das ist eines unserer größten Ziele, so frühzeitig wie möglich Gebärdensprache in die Familien zu bringen. Auch die Eltern sollten Gebärdensprache erlernen, denn nur dann haben die Kinder echte Chancen.
Um Gebärdensprachkurse in den Familien anzubieten, gehen wir unterschiedlich vor. Oft gehen wir in die Familien oder in die Kindertagesstätten, manchmal kommen die Familien auch zu uns hierher. Die Kostenträger für diese Kurse sind unterschiedlich. Wir unterstützen die Eltern bei der Beantragung.
Wir bieten Kurse für Kinder, die schwerhörig oder gehörlos sind, aber auch Kurse für Kinder, die nicht sprechen können. Außerdem bieten wir viele Erwachsenenkurse an. Wir sind zum Beispiel an der TU Dresden und geben Seminare für Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen. Es gibt auch Eltern-Kompaktkurse. Wir bringen die Eltern zusammen, damit sie sich austauschen können. Wir organisieren gemeinsame Familientreffen.
Ärzte sind immer noch sehr fixiert auf den Höransatz anstatt auf den Sprachansatz. Aber Sprache muss nicht immer etwas mit Hören zu tun haben. Eltern werden ja prinzipiell immer erst von Ärzt*innen beraten und diese versuchen das Hören zu etablieren. Die wenigsten Mediziner*innen sagen: Kümmern sie sich doch parallel auch noch um die Gebärdensprache, das hilft ihrem Kind. Denn je eher man mit der Gebärdensprache anfängt desto besser.
Hier in Dresden kooperieren wir sehr gut mit dem CI-Zentrum. Dort werden die CI-Implantate eingesetzt. Die Vernetzung wird immer besser, aber man muss es natürlich aktiv vorantreiben. Man sollte viel Empathie den Eltern gegenüber aufbringen, die sich mit Gebärdensprache zumeist noch nicht so auseinandergesetzt haben und vielleicht finden, dass es komisch aussieht. Denn mit Gebärdensprache wird Gehörlosigkeit erst sichtbar. Man muss deshalb sehr sensibel mit den Eltern umgehen und entsprechend aufklären. Das ist alles kein Automatismus, sowie Inklusion auch kein Automatismus ist. Es muss sich alles entwickeln und es müssen auch alle mitmachen.
Die Kinder, die inklusiv betreut werden beziehungsweise inklusiv in Einrichtungen sind, können sich kaum mit ihresgleichen austauschen. Denn in den Einrichtungen vor Ort ist nur selten ein Kind, welches auch gehörlos ist. Inklusion für Gehörlose ist Segen und Fluch zugleich. Denn wenn man keine Interaktionspartner hat, mit wem will ich mich dann unterhalten? Es ist zwar nett, dass das Kind mit einer Assistenz irgendwo im Kindergarten ist. Die Assistenz ist aber nicht die ganze Zeit anwesend. Und wichtig ist auch die Kommunikation zwischen den Kindern untereinander. Deshalb gehen wir auch in die Einrichtungen und versuchen, alle mitzunehmen. Wir entwickeln Strategien, die nachhaltig vor Ort wirken können. Es wird nicht nur das Kind, das gehörlos ist, eingebunden, sondern alle drum herum. Denn das Kind, das gehörlos ist, kann sich sprachlich kaum anpassen. Es ist nun einmal gehörlos. In einem bilingualen Kindergarten, zum Beispiel in einem, wo Deutsch und Sorbisch gesprochen wird, ist es was ganz anderes. Dort können alle hören, und es kann miteinander verbal interagiert und kommuniziert werden. Bei einem gehörlosen Kind müssen sich alle öffnen und anpassen. Das ist eine wichtige Säule für eine funktionierende Inklusion.
In den Kinderkursen verwenden wir spielerische Methoden. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Dozierenden gehörlos sind. Sobald ein gehörloser Erwachsener in die Situation kommt, sind die Ansprüche und Forderungen ganz anders. Da wird dann plötzlich anders interagiert. Insbesondere bei erwachsenen hörenden Personen. Und allein schon wenn ein gehörloser Dozent die Schulung macht, verändert sich das Bewusstsein für Gehörlosigkeit der zumeist hörenden Teilnehmer*innen unheimlich.
Neben den Kursen produzieren wir Gebärdensprachvideos für Webseiten und barrierefreie Angebote, wie Führungen in Museen. Wir erstellen unser Kursmaterial fast vollständig selbst, denn es gibt nur eine geringe Auswahl an Material, was wir nutzen könnten. Gebärdensprache hat, wie jede andere Sprache auch, verschiedene Dialekte. Es gibt vielleicht ein ganz tolles Buch, das wir verwenden könnten. Aber wenn dort ein anderer Dialekt dargestellt wird, ist es schwierig für die Umsetzung der Kurse hier vor Ort.
Dialektale Unterschiede erkennt man an unterschiedlichen Gebärden. Eine Dozentin aus unserem Kreis hat mal recherchiert, dass es für die Farbe Gelb in Deutschland 36 verschiedene Ausführungen geben soll, sie zu gebärden. Trotzdem können sich gehörlose Erwachsene untereinander trotz Dialekt unterhalten. Wenn man etwas nicht verstanden hat, dann fragt man einfach nach. Ein Beispiel ist das Wort „zeitig“. „Zeitig“ ist eher eine ostdeutsche Gebärde und wird in anderen Teilen der Republik als „früh“ gebärdet.
Die Grammatik der Gebärdensprache ist eine ganz andere als die der gesprochenen Sprache. Deshalb reichen Texte in deutscher Sprache nicht aus, um für alle gehörlosen Menschen nutzbar zu sein. Zudem kommt es natürlich auch auf die Schulbildung und Sozialisation der gehörlosen Person an. Haben sie einen sehr guten Wortschatz, dann funktioniert das ganz gut. Diese Menschen können dann meistens auch ganz gut von den Lippen ablesen. Viele denken, dass von den Lippen abzulesen gar kein Problem ist. Man kann jedoch nur 30 Prozent von den Lippen ablesen und zudem setzt es eine gute Deutschkompetenz des ‚Lesenden‘ voraus.
Eine gute Schulbildung ist zudem auch eine wichtige Grundlage, um Deutsch als Schriftsprache zu verstehen oder vom Mund abzusehen. Das Thema Schule für Gehörlose ist momentan ein großes Diskussionsthema. Es gibt zu wenig Pädagogen, die eine hohe Gebärdensprach-Kompetenz haben. Es gibt selbst Schulen für gehörlose Kinder, in denen nur wenige Pädagogen Gebärdensprache beherrschen.
Als Dolmetscher*in ist man in einer gewissen ‚Machtposition‘ gegenüber dem oder der Gehörlosen. Das darf nicht ausgenutzt und falsch angewendet werden! Man muss sich bewusst machen, dass man im Setting nur Dolmetscher*in ist, und nur zu dolmetschen hat. Die eigene Meinung ist während des Dolmetschens nicht gefragt. Aus meiner Sicht sollte man als Dolmetscher*in mit Hürden wie mit schlechtem Hören in der Situation oder mit nicht verstandenen Inhalten transparent und offen umgehen. Lieber noch einmal nachfragen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Durch die Simultanität ist das Dolmetschen ein anstrengender Prozess. Dolmetschen ist eine flüchtige Dienstleistung. Nur der Erfolg des Einzelnen ist das Ergebnis dieser Flüchtigkeit.
Als Gebärdensprachdolmetscher*in ist es weniger üblich, sich zu spezialisieren, wie beispielsweise Konferenzdolmetscher*innen für gesprochene Sprachen. Unser Einsatz ist in unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Mein Kollege und ich, wir dolmetschen seit vielen Jahren gern in politischen Settings. Das bereitet uns Freude. Vor allem politische Bildung für alle Menschen interessiert uns sehr. Es ist schön, wenn wir uns in diesem Rahmen mit unserem Dolmetschen unterstützen können. Aber ansonsten sind Gebärdensprachdolmetscher*innen in zahlreichen Bereichen tätig. Das reicht von der Geburt bis zur Beerdigung.
Im Bereich Gebärdensprachdolmetschen habe ich schon das Gefühl, dass die Nachfrage größer wird. Es interessieren sich mehr Leute für Inklusion, zum Beispiel auch in Verbänden, Parteien oder Ministerien. Da sind wir natürlich immer noch nicht am Ende der Möglichkeiten angelangt. Die UN-Behindertenkonvention war ein Anstoß. Durch den gesetzlichen Druck gibt es einen gewissen Flow, der mir aber noch viel zu langsam ist. Dennoch gibt es Institutionen, für die das Buchen eines Gebärdensprachdolmetschers für eine Veranstaltung selbstverständlich ist. Das ist schon eine gute Entwicklung. Ich achte darauf, unsere Kund*innen gut zu beraten. Es ist mir wichtig, kein Überangebot zu schaffen, damit finanzielle oder personelle Ressourcen gespart und keine Mittel verschwendet werden. Ich denke dabei an eine Tagesveranstaltung, bei welcher acht Dolmetscher*innen gebunden waren, jedoch kein einziger Gebärdensprachnutzer an der Veranstaltung teilnahm. An anderer Stelle hätte man uns gebraucht. Selbstverständlich sollten Gebärdensprachnutzer*innen jede Veranstaltung besuchen dürfen, ohne sich gesondert mit seinem Zusatzbedarf anzumelden. Das kann ich absolut verstehen. Ich betrachte hier die Gesamtsituation. Es geht nicht nur um die Ressource Dolmetscher*in, sondern auch um finanzielle Mittel, die bereitgestellt werden müssen. Es ist wirklich eine Gratwanderung und bedarf des Verständnisses, aber auch der Bereitschaft von allen. Manchmal braucht es vor allem schnelle unkonventionelle Lösungen, um Barrieren abzubauen und Inklusion zu erreichen.
Ich habe das Gefühl, dass Inklusion im ländlichen Raum teilweise sogar noch mehr gelebt wird als hier im städtischen. Weil man sich auf dem Land wahrscheinlich schon immer so behilft. Weil man sich untereinander kennt. Was aber auf dem Land fehlt, ist die Infrastruktur. Ich merke das auch beim Thema Gebärdensprache. Hier in Dresden sind wir mittlerweile angekommen und werden angenommen. Aber zum Beispiel in der Oberlausitz, da müssen doch rein statistisch irgendwo noch Kinder versteckt sein, die gehörlos sind. Die brauchen doch auch ihre Chancen. Ich möchte diese Kinder finden.
Während der ersten Coronawelle habe ich ein Unternehmen gegründet, ein gemeinnütziges Unternehmen. Das war ein lang gehegtes Ziel, welches ich im ersten Lockdown angegangen bin. Das Unternehmen heißt „Spektrum:Mensch GmbH“. Ich möchte mit diesem Unternehmen nicht nur gehörlose Menschen, sondern noch weitere Expert*innen in eigener Sache einbinden und mit Angeboten eine Vielzahl von Menschen in schwierigen Lebenslagen erreichen. Es geht mir darum, die Beeinträchtigung eines Menschen als wertvoll anzusehen und genau deshalb bei Menschen Potentiale zu entdecken, Chancen zu ermöglichen, um versteckte Fähigkeiten zu fördern. Einschränkungen können sich als wertvoller Vorteil entfalten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Viele fragen mich, wo ich meine Energie hernehme. Einerseits ist es das stabile Umfeld, das ist meine Familie. Zudem gehe ich regelmäßig und gern laufen als Ausgleich zum Berufsalltag. Ich habe viele tolle Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten darf. Ich sage immer: Der Scouts-Laden funktioniert nur, weil es eine gute Mannschaft ist, ein offenes und ehrliches Team. Das treibt mich an und das macht mich glücklich, bei dem, was ich tue.
Website von Scouts - Gebärdensprache für alle: www.ihre-scouts.de
Website vigevo - Das Netzwerk für Gebärdensprachdolmetscher: http://www.vigevo.de/
Interview geführt am: 16. Juli 2020
Hallo!
Ich bin Sindy Christoph aus der Oberlausitz.
Ich bin Gebärden-Dolmetscherin.
Dolmetscher übersetzen Gespräche.
Ich übersetze von der Gebärden-Sprache ins gesprochene Deutsch.
Und vom gesprochenen Deutsch in die Gebärden-Sprache.
Ich habe in Zwickau studiert.
2010 habe ich vigevo gegründet.
Vigevo bietet Übersetzungen in die Gebärden-Sprache an.
Später habe ich Scouts – Gebärden-Sprache für Alle gegründet.
Ich finde:
Viele Menschen mit Behinderung haben in ihrem Leben zu wenig Möglichkeiten.
Auch viele gehörlose Menschen.
Sie könnten viel mehr.
Ich möchte mich dafür einsetzen:
Menschen mit Behinderung sollen schon früh gefördert werden.
Wir bieten zum Beispiel Früh-Förderung für gehörlose Kinder an.
Und Gebärden-Sprach-Kurse für die Eltern.
Denn die Eltern können meistens hören.
Meistens ist es so:
Die Eltern nehmen viel zu spät Kontakt zu uns auf.
Kinder kommen erst mit 5 zu uns.
Weil erst dann festgestellt wird, dass es Probleme gibt.
Aber Kinder sollten schon viel früher mit der Gebärden-Sprache beginnen.
Hörende Kinder lernen ja auch früher sprechen.
Es gibt Eltern, die sich sehr früh für ein Cochlea-Implantat entscheiden.
Darüber möchte ich nicht urteilen.
Ich finde es aber wichtig:
Gehörlose Kinder sollen auch die Gebärden-Sprache lernen.
Denn das ist ihre Basis-Sprache.
Auch die Eltern sollen die Gebärden-Sprache lernen.
Nur dann haben die Kinder gute Möglichkeiten.
Ärzt*innen konzentrieren sich zu sehr auf das Hören.
Sie achten zu wenig auf das Sprechen.
Aber Sprache muss nicht immer etwas mit Hören zu tun haben.
Die wenigsten Ärzt*innen sagen:
Kümmern Sie sich doch auch um die Gebärden-Sprache.
Das ist wichtig für Ihr Kind.
Die Gebärden-Sprache ist ganz anders als die gesprochene Sprache.
Die Sätze werden anders gemacht.
Deshalb sind Texte in deutscher Sprache für gehörlose Personen nicht so einfach.
Es kommt auch auf die Schul-Bildung von der gehörlosen Person an.
Wenn die Person viele Wörter kennt:
Dann kann sie einen geschriebenen Text gut lesen.
Diese Menschen können dann meistens auch ganz gut von den Lippen ablesen.
Viele Leute denken:
Von den Lippen ablesen ist ganz einfach.
Man kann aber nur 1 von 3 Wörtern von den Lippen ablesen.
Außerdem muss die gehörlose Person die deutsche Sprache gut kennen.
Das ist bei Personen so, die nicht von Geburt an gehörlos sind.
Das Gespräch war am 16. Juli 2020.
Sindy Christoph
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
Sindy Christoph
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: