Markus Hutschenreuther
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Inklusion ist auf Einrichtungsseite durch das ambulant betreute Wohnen schon ganz gut realisiert. Aber auf gesellschaftlicher Ebene gibt es noch viele Hindernisse.
Wenn etwas nicht barrierefrei ist, liegt das Defizit auf der Seite der Gesellschaft. Sie muss Barrierefreiheit nachweisen und nicht ein Mensch ein Defizit, um teilhaben zu können.
Ich mag den Begriff Inklusion nicht wirklich, obwohl er eine gute Intention hat.
Warum mache ich solche Projekte stellvertretend? Warum unterstützte ich nicht direkt Menschen, die behindert werden, solche Projekte zu machen?
In der Vergangenheit habe ich das Projekt „Politik für und mit Menschen mit einer geistigen Behinderung“ betreut. Bei diesem Projekt ging es darum, im Vorfeld der letzten Bundestagswahl mit den Parteien ins Gespräch zu kommen, um ihnen Menschen, die behindert werden, als Wählergruppe vorzustellen. Generell gibt es wenig Interesse an einer Interaktion mit diesem Wählerkreis. Dabei sind Menschen mit geistiger Behinderung schon eine gehörige Gruppe, die aber zurzeit unterrepräsentiert ist.
Eine meiner Prioritäten liegt in der Arbeit für das „Netzwerk für inklusive politische Bildung“ (NipB). NipB hat das Ziel, Initiativen zusammenzubringen, die sich mit politischer Bildung für Menschen, die behindert werden, beschäftigen. Bei dieser Arbeit stellte sich für mich immer mehr die Frage: Warum mache ich solche Projekte stellvertretend? Warum unterstütze ich nicht direkt Menschen, die behindert werden, solche Projekte zu machen? Deshalb haben wir im Netzwerk recht schnell sogenannte Selbstvertreter mit ins Team geholt. Und diesen Anspruch versuche ich auch in meinen Projekten und in meiner Kommunikation immer stärker einzubinden.
Ich mag den Begriff Inklusion nicht wirklich, obwohl er eine gute Intention hat. Inklusion wird oft so verstanden, dass eine beeinträchtigte Zielgruppe in die Gesellschaft aufgenommen werden muss. Ich fände es besser, alle gesellschaftlichen Prozesse darauf zu prüfen, ob sie eine Barriere darstellen könnten. Das wäre der Versuch, Barrierefreiheit als Inklusion zu verwirklichen. Wenn ich zum Beispiel einen Behindertenparkplatz baue, dann ist das keine Inklusion. Denn damit sage ich dem Menschen: Du bist behindert! Du musst dein Defizit nachweisen, erst dann baut dir die Gesellschaft einen Parkplatz! Ich fände es viel spannender, wenn es generell nur barrierefreie Parkmöglichkeiten gäbe. Leistungen sollten nicht an den Nachweis eines Defizits gebunden sein. Vielmehr sollte immer eine barrierefreie Infrastruktur vorgehalten werden. Wenn etwas nicht barrierefrei ist, liegt das Defizit auf der Seite der Gesellschaft. Sie muss Barrierefreiheit nachweisen und nicht ein Mensch ein Defizit, um teilhaben zu können.
Interview geführt am: 07. März 2019
Ich arbeite seit ungefähr 10 Jahren im sächsischen Epilepsiezentrum Kleinwachau im Wohnbereich in verschiedenen Gruppen. Ich habe erst in verschiedenen Wohnheimgruppen und Außenwohngruppen gearbeitet. Jetzt kümmere ich mich um Menschen im ambulant betreuten Wohnen.
Frau N., Frau W. und Frau R. (siehe Interview: Wohngruppe Radeberg) haben in einem sehr langen Prozess dafür gekämpft, Barrieren, die manchmal auch in einer großen Einrichtung bestehen, zu überwinden Zu DDR-Zeiten wohnten sie auf einer Station als Patientinnen. Nach der Wende als Bewohnerinnen im Heim und später in einer Außenwohngruppe.
Inklusion ist auf Einrichtungsseite durch das ambulant betreute Wohnen schon ganz gut realisiert. Aber auf gesellschaftlicher Ebene gibt es noch viele Hindernisse.
Jetzt sind sie normale Mieter und erhalten ambulante Unterstützungsangebote durch das ambulant betreute Wohnen. Jetzt ist die Einrichtung für die Frauen wirklich nur noch eine Unterstützung und keine Barriere mehr. Wir merken aber immer mehr, dass es noch gesellschaftliche Barrieren gibt. Da können wir jetzt weitermachen.
In der Vergangenheit habe ich das Projekt „Politik für und mit Menschen mit einer geistigen Behinderung“ betreut. Bei diesem Projekt ging es darum, im Vorfeld der letzten Bundestagswahl mit den Parteien ins Gespräch zu kommen, um ihnen Menschen, die behindert werden, als Wählergruppe vorzustellen. Denn ein großer Teil der Wahlwerbung erreicht diese Adressatengruppe nicht. Auch die Behindertenhilfe hat diese Menschen als mögliche Wähler*innen oft nicht auf dem Schirm. Es wird teils davon ausgegangen, dass Wahlen für diese Menschen nicht von Interesse sind oder dass die Fähigkeiten, am politischen Diskurs partizipieren zu können, nicht vorhanden sind. Durch die fehlende Konfrontation mit politischen Themen kommt es zu einer Unterforderung, die das Ausprägen und Trainieren der hierzu nötigen Fähigkeiten verhindert. Generell gibt es wenig Interesse an einer Interaktion mit diesem Wählerkreis. Dabei sind Menschen mit geistiger Behinderung schon eine gehörige Wählergruppe, die aber zurzeit unterrepräsentiert ist.
Also habe ich verschiedene Parteien angeschrieben, unter anderem die SPD, CDU, die Grünen, die Linke und auch die AfD. Abgesehen von der AfD habe ich von den Parteien auch Rückmeldung bekommen. Deshalb haben wir die AfD im Zuge dieses Projektzyklus auch nicht besucht. Die Parteien hatten im Rahmen des Projekts die Möglichkeit, beispielsweise Workshop-Veranstaltungen abzuhalten. Wir haben zum Beispiel die Grünen im Sächsischen Landtag besucht. Die haben uns generell erzählt, wie Politik funktioniert und was sie im Sächsischen Landtag erreichen wollen, und haben das auch sehr gut in Einfacher Sprache vorgetragen. Auch hatten sie gutes Wahlmaterial in Einfacher Sprache. Sie haben sich sehr um das Thema Inklusion in ihrem Programm bemüht. Die Linken haben wir auch besucht. Die hatten ein sehr schönes Planspiel, wo wir selbst Parteien gegründet haben und mit den Parteien in den Wahlkampf gezogen sind. Wir konnten so Politik hautnah miterleben. Die SPD haben wir in ihrer Parteizentrale besucht. Die hatten einen PowerPoint Vortrag und – was sehr interessant war – einen blinden Selbstvertreter, der bei der SPD in der „Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv“ (Menschen mit Behinderungen in der SPD) mitarbeitet. Die Teilnehmer hatten großen Respekt. Unter vorgehaltener Hand wurde geflüstert: „Der ist ja wirklich behindert.“ Dass jemand mit subjektiv größeren Einschränkungen politisch aktiv ist, imponierte.
Wir haben auch noch die CDU besucht, wieder im Sächsischen Landtag. Es gab spannende Diskussionen. Wir haben uns den Aktionsplan zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention des Freistaats Sachsen angeschaut und ihn ein wenig kommentiert. Das war der erste Teil dieses Projektzyklus.
Alle Parteien betonten ihre Unterstützung inklusiver Ansätze. Also habe ich alle Parteien noch einmal ins Rathaus in Radeberg zu einem speziellen Workshop und einer Podiumsdiskussion eingeladen. Da haben die CDU, die SPD, die Linke und die Grünen teilgenommen. Sie haben sich auf der Bühne noch einmal mit ihrem Parteiprogramm vorgestellt. Sie haben in kleinen Workshops auf persönlicher Ebene mit den möglichen Wähler*innen gesprochen, und dann gab es noch eine Abschlusspodiumsdiskussion. Hier unterschied sich das Verständnis von Inklusion deutlich. Der Vertreter der CDU, Gernot Krasselt, plädierte für das Fortbestehen der Trennung zwischen dem sogenannten ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Auch die geringe Entlohnung begrüßte er mit der Begründung, dass viele Leistungen durch den Staat finanziert werden. Dies löste bei einigen Teilnehmenden Empörung aus. Viele wollen anstatt einer paternalistischen Wohlfahrtsumsorgung mehr Eigenverantwortung übernehmen. Eine gesellschaftsübliche Entlohnung könnte das Selbstwertgefühl steigern und aus Beschäftigten „Mitarbeiter*innen“ und aus „Bewohner*innen“ Mieter*innen machen. Beispielsweise durch die Einführung eines Mindestlohnes könnten gegebenenfalls viele staatliche Subventionen entfallen, welche die Menschen an separierende Parallelstrukturen binden. Schließlich ist es nach den Grundsätzen einer inklusiven Gesellschaft nicht verständlich, warum Menschen aufgrund einer Behinderung in einer speziellen Einrichtung leben und arbeiten müssen. Wenn Menschen beispielsweise Teile für die Industrie herstellen, muss das ja nicht zwingend an einem gesonderten Ort stattfinden.
Eine meiner Prioritäten liegt in der Arbeit für das „Netzwerk für inklusive politische Bildung“ (NipB). NipB hat das Ziel, Initiativen zusammenzubringen, die sich mit politischer Bildung für Menschen, die behindert werden, beschäftigen. Bei dieser Arbeit stellte sich für mich immer mehr die Frage: Warum mache ich solche Projekte stellvertretend? Warum unterstütze ich nicht direkt Menschen, die behindert werden, solche Projekte zu machen? Deshalb haben wir im Netzwerk recht schnell sogenannte Selbstvertreter*innen mit ins Team geholt. Und diesen Anspruch versuche ich auch in meinen Projekten und in meiner Kommunikation immer stärker einzubinden. Neben Herrn P. und Frau F. waren dann Frau N. und Frau W. meine erste Wahl als Selbstvertreterinnen. Frau N. und Frau W. weisen immer wieder auf gesellschaftliche Missstände oder Behinderungen hin.
Durch die Fachtage im Netzwerk habe ich schnell bemerkt, dass es zur Unterforderung kommt, wenn Menschen nicht in Entscheidungen eingebunden werden. Frau N. und Frau W. aus der Wohngruppe Radeberg hatten erst ein wenig Respekt vor den Fachtagen, aber als sie dort waren, sind sie aufgeblüht und haben mitgemacht. Sie haben Forderungen eingebracht und Sachen klar formuliert. Und man lernt recht schnell, wie man mit Politiker*innen kommuniziert. Die Teilnehmenden der Veranstaltungsreihe „Politik für und mit Menschen mit einer geistigen Behinderung“ haben teilweise noch das Ideal, Sachen verändern zu können. Wenn genügend Leute dieses Ideal noch haben, könnte man vielleicht etwas ändern. Aber wenn man nur eine gesellschaftliche Gruppe ist, über die gehandelt wird, dann ist das schwer.
Ich mag den Begriff Inklusion nicht wirklich, obwohl er eine gute Intention hat. Früher sprach man von Integration. Inklusion heißt jetzt im Gegensatz dazu, dass man eine barrierefreie Infrastruktur in der Gesellschaft schaffen muss. Aber Inklusion wird oft so verstanden, dass eine beeinträchtigte Zielgruppe in die Gesellschaft aufgenommen werden muss. Ich fände es besser, alle gesellschaftlichen Prozesse darauf zu prüfen, ob sie eine Barriere darstellen könnten (Disability Mainstreaming). Das wäre der Versuch, Barrierefreiheit als Inklusion zu verwirklichen. Wenn ich zum Beispiel einen Behindertenparkplatz baue, dann ist das keine Inklusion. Denn damit sage ich dem Menschen: Du bist behindert! Du musst dein Defizit nachweisen, erst dann baut dir die Gesellschaft einen Parkplatz! Ich fände es viel spannender, wenn es generell nur barrierefreie Parkmöglichkeiten gäbe. Leistungen sollten nicht an den Nachweis eines Defizits gebunden sein. Vielmehr sollte eine barrierefreie Infrastruktur vorgehalten werden, die auch ohne den Nachweis eines Defizits genutzt werden kann. Denn Inklusion heißt Barrierefreiheit. Wenn etwas nicht barrierefrei ist, liegt das Defizit auf der Seite der Gesellschaft. Sie muss Barrierefreiheit nachweisen und nicht ein Mensch ein Defizit, um teilhaben zu können.
Website: https://www.kleinwachau.de/
Interview geführt am: 07. März 2019
Hallo.
Ich bin Markus Hutschenreuther aus der Region Radeberg.
Früher habe ich in diesem Projekt gearbeitet:
Politik für und mit Menschen mit einer geistigen Behinderung.
Wir haben politische Parteien vor der Wahl kontaktiert.
Und ihnen Menschen mit Behinderung als Wähler-Gruppe vorgestellt.
Generell gibt es wenig Interesse an einem Austausch mit dieser Wähler-Gruppe.
Dabei ist es eine große Anzahl an Menschen.
Ein wichtiges Projekt an dem ich heute arbeite ist:
Das Netz-Werk für inklusive politische Bildung.
Die Abkürzung: NipB
Nipb hat das Ziel:
Politische Bildung für Menschen mit Behinderung fördern.
Einige Menschen mit Behinderung arbeiten auch selbst mit.
Das finde ich wichtig.
Wir nennen sie Selbst-Vertreter.
Das Wort Inklusion gefällt mir nicht.
Es ist gut gemeint.
Aber Inklusion bedeutet:
Menschen mit Behinderung werden in die Gesellschaft aufgenommen.
Lieber wäre mir:
Eine allgemeine Barriere-Freiheit in der Gesellschaft.
Ein Beispiel:
Ein Behinderten-Park-Platz bedeutet nicht Inklusion.
Man muss nach-weisen, dass man eine Behinderung hat.
Besser finde ich:
Alle Park-Plätze sollen barriere-frei sein.
Menschen sollen nicht eine Behinderung nach-weisen müssen.
Sondern:
Alle öffentlichen Einrichtungen sollen barriere-frei sein:
- Park-Plätze
- Gebäude
- Busse und Bahn
Das ist ein wichtiges Ziel.
Das Gespräch war am 7. März 2019.
Markus Hutschenreuther
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
Markus Hutschenreuther
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: